Das Hyaluronwunder
Wie Sie mit Hyaluronsäure Arthrose und Gelenkbeschwerden gezielt entgegenwirken und Ihr Hautbild verjüngen können
Das Hyaluronwunder
Wer an Hyaluronsäure denkt, hat zunächst einmal Bilder von beweglichen Knien, jugendlich-praller Haut und klaren Augen im Kopf. Und in der Tat handelt es sich bei Hyaluronsäure um eine faszinierende Substanz, die in unserem Körper auf vielerlei Weisen vorkommt und nahezu unentbehrlich ist. Hyaluronsäure hemmt Entzündungen, dient unseren Gelenken als »Schmiermittel«, sorgt für die Durchlässigkeit unserer Zellen und fördert die Wundheilung.
Leider schwindet der Anteil an Hyaluronsäure in unserem Körper im Alter, sodass sich ein Mangel entwickelt und sich Gelenkschmerzen einstellen können und Falten entstehen.
Doch was ist Hyaluronsäure eigentlich und wo kommt sie her? Vor etwa 500 Millionen Jahren, im Paläozoikum, entstand Hyaluronsäure vermutlich in meeresbewohnenden Manteltierchen. Heute weiß man, dass sie in fast allen Geweben und Körperflüssigkeiten von Wirbeltieren und Menschen vorkommt, wenn auch in unterschiedlicher Menge: Rund 15 Gramm enthält der menschliche Körper, und die Hälfte davon etwa befindet sich in der Haut.
Bemerkenswert ist die besondere Eigenschaft der sich aus wiederholenden Zuckereinheiten zusammenfügenden Säure: Sie gehört zu den am meisten wasserliebenden Molekülen in der Natur. Und sie zieht Wasser auf geradezu außergewöhnliche Weise an. Ein Gramm Hyaluronsäure kann sage und schreibe sechs Liter Wasser binden. Verbunden mit ihrer besonderen Fähigkeit, in den Zellen vorhandene Feuchtigkeit zu regulieren, ergeben sich in unserem Körper beeindruckende Effekte durch diese Substanz.
Was kann sie nicht alles für die Schönheit tun! Wir nutzen sie, um kleine Falten verschwinden zu lassen, aber auch, um unserem Gesicht mehr Volumen zu geben. Sie wirkt als Jungbrunnen und wird daher rund um die Welt in Form von Cremes aufgetragen, innerlich als Trunk oder Tablette angewendet oder aber gespritzt.
Entdecken Sie jetzt die Hyaluronsäure. Dieses Buch wird Sie einführen in Aufbau, Wirkweise und Anwendungen dieser besonderen Substanz und ihren Einfluss auf Gesundheit und Schönheit.
Ein magisches Molekül:
Hyaluronsäure
Sie ist Schutzschicht unserer Zellen, Schmiermittel und Stoßdämpfer unserer Gelenke: Hyaluronsäure hat es in sich! Sie erfüllt eine Vielzahl von Funktionen und begleitet uns ein Leben lang, von der Geburt bis ins hohe Alter. Bereits bei der Entstehung neuen Lebens spielt sie eine Rolle, da jede Eizelle von einer Schicht aus Hyaluronsäure umgeben ist, die das Spermium bei der Befruchtung durchbrechen muss.1 Viele Jahrzehnte später dann beschert die allmählich zurückgehende Konzentration in unserem Körper die oft ungeliebten Altersfalten.
Was ist Hyaluronsäure?
Hyaluronsäure ist ein Mehrfachzucker (Polysaccharid) und gehört zur Gruppe der Glykosaminoglykane. Sie kommt als wasserklare, viskose Flüssigkeit vor und wird häufig auch als Hyaluron oder Hyaluronat bezeichnet, konkret allerdings handelt es sich hier um das Salz der Säure.
Körpereigene Hyaluronsäure hat eine durchschnittliche Halbwertzeit von etwa zwölf Stunden.2 Das heißt, dass sich nach zwölf Stunden deren Anfangskonzentration im Körper um genau die Hälfte verringert. Im Blut beträgt sie etwa drei bis fünf Minuten, weniger als 24 Stunden in der Haut und etwa ein bis drei Wochen in unseren Knorpeln und Gelenken. 3 Hyaluronsäure, die in Haut oder Gelenke injiziert wird, hat dort eine Halbwertzeit von etwa 24 Stunden.4 Damit zum Beispiel sogenannte Haut-Filler (siehe Seite 49) aus Hyaluronsäure bis zu zwölf Monate Verweilzeit erreichen, müssen sie mit chemischen Vernetzungsmitteln stabilisiert werden. Der Hauptteil der im Körper vorkommenden Hyaluronsäure wird im Bindegewebe abgebaut.
Halten sich Ab- und Aufbau von Hyaluronsäure die Waage, ist die Homöostase stabil – das lebenswichtige Gleichgewicht der Körperfunktionen also ist gesichert5 und die Hyaluronsäure kann ihre zahlreichen Aufgaben im Körper erfüllen:
Haut und Bindegewebe straffen,
Knorpel elastisch halten,
Wasserhaushalt im Körper regulieren,
Organ- und Körperform bewahren,
Fließeigenschaften von Lymphflüssigkeit und Kammerwasser im Auge beeinflussen.
Darüber hinaus verfügt Hyaluronsäure über antioxidative Eigenschaften, das heißt, sie agiert als Fänger zerstörerischer freier Radikale und wird im Gegenzug von reaktiven Sauerstoffspezies verbraucht. Das macht sich in der Molekülmasse bemerkbar: In gesunder menschlicher Gelenkflüssigkeit (Synovia) beträgt die Molekülmasse von Hyaluronsäure etwa 6000 bis 7000 Kilodalton. Bei Arthrosepatienten zum Beispiel kann sie auf wenige hundert Kilodalton reduziert sein.6
Chemische Struktur und Biosynthese
Der Blick durch ein leistungsstarkes Mikroskop zeigt, dass Hyaluronsäure sowohl als einzelne Kette als auch als netzartiges System von Ketten vorkommt. Man erkennt ebenfalls, dass sich diese Ketten selbst anordnen können: Auf diese Weise bilden sie größere, bis zu 10 000 Glieder und mehr fassende Strukturen und Knäuel,7 bis ein dreidimensionales Netzwerk entsteht, das elastische Eigenschaften aufweist.8
Die Wirkmöglichkeiten der Hyaluronsäure hängen von der Struktur ebendieses Hyaluronsäure-Komplexes ab. Die Länge der jeweiligen Ketten aber erzeugen sich unterscheidende Varianten der Hyaluronsäure: kurzkettige (niedermolekulare) und langkettige (hochmolekulare) Varianten. In Zusammenhang mit der wasserbindenden Eigenschaft entwickelt hochmolekulare Hyaluronsäure eine gelartige Konsistenz; niedermolekulare Hyaluronsäure hat eine verminderte Viskosität.
Viskosität ist ein Maß für die Zähigkeit einer Substanz. Hyaluronsäure- Moleküle, die lang und groß sind, ermöglichen beispielsweise den Gelenken, Gewicht zu tragen9 (siehe Seite 21).
Hyaluronsäure-Produktion
Hyaluronsäure wird vom Menschen selbst gebildet.10 Dieser Vorgang spielt sich vornehmlich in den Fibroblasten ab, die wiederum Hauptbestandteil unseres Bindegewebes sind. Dies findet an der Zellmembran der Fibroblasten statt und von dort wird sie direkt in die extrazelluläre Matrix (ECM) abgegeben (siehe Seite 21).
Neben dem natürlichen Vorkommen im menschlichen Körper kann Hyaluronsäure auch künstlich hergestellt werden: entweder aus tierischen Quellen oder biotechnologisch. Präparate tierischen Ursprungs werden aus Hahnenkämmen, seltener auch aus Rinder- und Fischaugen gewonnen.11 Die Hyaluronsäure-Konzentration im Hahnenkamm beträgt etwa 7,5 Milligramm pro Liter; die Ausbeute pro Kilogramm Hahnenkämme sind etwa drei Gramm Hyaluronsäure. Präparate aus tierischem Ausgangsmaterial sind in der Regel weniger lange im Gewebe haltbar und tragen aufgrund eventueller Reste tierischen Eiweißes allergenes Potential.
Der pharmazeutische Wirkstoff für Hyaluronsäure-Präparate wird in biotechnologischer Herstellung in Fermentationsanlagen gewonnen. Hier werden beispielsweise Bakterien wie Streptokokken gezüchtet, die Hyaluronsäure produzieren. In verschiedenen Filtrationsschritten wird das Produkt gereinigt. Nach der Trocknung erhält man reine Hyaluronsäure, die frei von tierischen Bestandteilen ist. Oder man gibt beispielsweise Hefeextrakt aus Bohnen zu Maisglukose (einfacher Zucker), diese produziert dann auf natürliche Weise Hyaluron. Der erzeugte Wirkstoff kann entsprechend aufbereitet werden, sodass er identisch der Hyaluronsäure des menschlichen Organismus ist. Es besteht so kaum das Risiko möglicher Nebenwirkungen durch Begleit- oder infektiöse Stoffe wie Hepatitis-, HIV- oder BSE-Erreger. Die exakten Herstellungsprozesse allerdings werden von den einzelnen Anbietern streng geheim gehalten.
Diese identische Form der Hyaluronsäure wird als »Non-Animal-Source-Hyaluronan – NASH« (Hyaluronsäure nichttierischen Ursprungs) bezeichnet.12
Besondere Eigenschaften der Hyaluronsäure
Die chemische Struktur der Hyaluronsäure ist im Grunde einfach, da sich ihre Zucker- und Eiweißbausteine schlicht wiederholen. Dennoch ist die Substanz ein Multitalent, das Nährstoffe zu den Zellen transportiert, die Zellerneuerung ankurbelt und Toxine entfernt. Dass wir Hyaluronsäure heute in Gesundheitskost- und Schönheitsprodukten, in Kosmetika und medikamentenähnlichen Zusatzstoffen und Arzneimitteln finden, verdankt sie vor allem ihren besonderen Eigenschaften: der enormen Fähigkeit, Wasser zu binden und ihrer Viskoelastizität.
Ein perfekter Wasserspeicher
Hyaluronsäure ist hygroskopisch, das bedeutet, dass sie sich gern mit Wasser verbindet: Kommt ein Hyaluronsäure-Molekül mit Wasser in Kontakt, dehnt es sich aus und nimmt bis zu 10 000-mal mehr Raum ein als im Grundzustand. Sichtbar wird diese Ausdehnung als gelartiges Erscheinungsbild, das sich schon bei einer Konzentration von über 1 Prozent (also mehr als 1 Gramm Hyaluronsäure auf 100 Milliliter Wasser) ergibt. Wie ein Schwamm speichert sie große Mengen Wasser und kann ein 1000-Faches ihres Eigengewichts an Wasser binden.13 Ein Gramm Hyaluronsäure ist in der Lage, bis zu sechs Liter Wasser aufzunehmen.14
In diesem Zustand fungiert Hyaluronsäure als raumfüllendes und stoßdämpfendes Makromolekül, wie etwa in der Wharton- Sulze der Nabelschnur oder in den Zellen der Oberhaut,15 die für die Produktion des wasserabweisenden, Schutz und Stabilität verleihenden Keratins verantwortlich sind.
Dank ihrer hygroskopischen Eigenschaft kontrolliert die Hyaluronsäure die Gewebehydratation, das heißt die Bindung von Wasser im Gewebe, und sorgt so für ein feuchtes Milieu, die ideale Bedingung für die korrekte Anordnung von Kollagen. Das Zusammenspiel von Hyaluronsäure und Kollagen kann zum Beispiel nach einer Verletzung den natürlichen Selbstheilungsprozess und die Gewebeneubildung fördern.
Hyaluronsäure ist viskoelastisch
Hyaluronsäure-Knäuel sind natürliche Stoßdämpfer, das heißt, sie tolerieren Krafteinwirkung wie Dehnung oder Stauchung, ohne ihre Form zu verlieren.
Ereignen sich schockartige Belastungen wie bei einem Sturz, beim Umknicken, einem Schlag oder Aufprall, wirken sogenannte Scherkräfte auf das Gelenk. Der Begriff »Scherung« stammt aus der Physik und bedeutet, dass gegenüberliegende Flächen durch Krafteinwirkung in Relation zueinander verschoben werden. Für das Gelenk kann dies Verletzungen mit sich bringen, weil die Gelenkflächen zu stark parallel gegeneinander verschoben und dadurch versetzt sind.
Was passiert bei diesem Vorgang mit den Hyaluronsäure-Molekülen? Sie vereinigen die Merkmale von elastischen Festkörpern mit denen von viskosen Flüssigkeiten zu sogenannter »Viskoelastizität«. Wenn Kraft auf viskoelastisches Material eingewirkt hat, kann es aufgrund seiner elastischen Eigenschaften wieder in seine ursprüngliche Position zurückkehren. Mithilfe von Hyaluronsäure kann die Gelenkschmiere reagieren, wenn sie kurzzeitigem Druck ausgesetzt ist, und dickflüssiger werden.16 Wird der Druck langsam ausgeübt, nimmt auch die Viskosität langsam ab. Die Zähflüssigkeit der Hyaluronsäure nimmt mit ihrer Konzentration zu und ihre Elastizität mit der Größe der gebildeten Knäuel.17
Die Geschichte der Hyaluronsäure
Evolutionsgeschichtliche Studien zeigen, dass Hyaluronsäure vor 500 Millionen Jahren in niederen Chordatieren entstand.18
Die Erforschung der Hyaluronsäure, ihrer Eigenschaften und Anwendungsbereiche erstreckt sich über einen Zeitraum von weit über einem Jahrhundert. Erstmals berichtete 1880 der französische Chemiker Portes, dass sich eine Substanz, die aus dem Glaskörper isoliert worden war, in Säurelösung anders verhält als ähnliche Präparate aus Cornea und Knorpel. Diesen Schleimstoff nannte er hyalomucine.19 Der Schwede Carl Th. Mörner konnte 1884 Portes‘ Ergebnisse bestätigen.
1918 isolierte das Labor des russisch-amerikanischen Chemikers Phoebus Aaron Theodore Levene am Rockefeller Institut ein spezielles Polysaccharid (Mehrfachzucker) aus der Schleimhaut des Schweinemagens und nannte es mucoitin sulfuric acid. Hierbei soll es sich in erster Linie um Hyaluronsäure gehandelt haben.20
Der deutsche Biochemiker Karl Meyer und sein Laborassistent John W. Palmer definierten 1934 nach Arbeiten am Glaskörper des Rinderauges den Begriff hyaluronic acid – »aus Bequemlichkeit«, wie die beiden Forscher von der Columbia Universität New York erklärten. Sie kombinierten den Namen aus hyaloid für gläsern und uranic acid für die Zuckersäure Uronsäure.21
In den 1950er-Jahren wurde Hyaluronsäure aus weiteren Geweben isoliert und man entdeckte krankheitserregende Bakterien, die sie selbst produzieren konnten. 1954 publizierte dann Karl Meyer zusammen mit seinem Mitarbeiter Bernard Weissmann die genaue chemische Struktur der Hyaluronsäure. Und man begann, Hyaluronsäure in der Augenheilkunde einzusetzen.
Bis in die 1970er-Jahre hinein wurden die Gewinnungsverfahren aus tierischem Material optimiert und erste Studien, die sich mit der Herstellung durch bakterielle Fermentation und chemische Synthese beschäftigten, begannen.22
1979 schließlich meldete der Biochemiker Endre A. Balazs unter der Patentnummer 4141973 das erste Patent für reinste Hyaluronsäure an.23 Der Weg für die kommerzielle Nutzung war geebnet.
Gymnastik statt Botox
Das sanfte Gesichtslifting!
Geht es Ihnen auch so? Trotz teurer Gesichtscremes haben sich ein paar Fältchen eingeschlichen, und nun suchen Sie nach neuen und wirksamen Wegen. Probieren Sie es mit Gesichtsgymnastik: Sie erhält die gesunde, attraktive Spannkraft der Haut, sorgt für einen lebendigen Gesichtsausdruck und regt die Regenerationskräfte der Haut an. Und sie ist einfach, natürlich und absolut frei von Nebenwirkungen.
Nach dem Motto „In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist“ hält die Sport- und Gymnastiklehrerin Heike Höfler ganzheitliche Kurse rund um Themen wie Rücken, Atem, Gesicht oder Entspannung. Nachdem sie zunächst viele Jahren in Kliniken gearbeitet hatte, machte sie sich 2002 selbstständig. Ihr Credo: Übungen müssen alltagstauglich sein. „Ich baue meine Gesichtsübungen gerne in den Alltag ein, z. B. übe ich beim Autofahren. Lächeln Sie so oft wie möglich, das tut gut, und kommt auch noch gut an!“ Bekannt wurde Heike Höfler mit dem Thema Fitness-Training fürs Gesicht auch durch TV- und Radiosendungen. Bei TRIAS hat sie unter anderem die Erfolgstitel „Entspannungstraining für Kiefer, Nacken, Schultern“ und „Atementspannung“ veröffentlicht.
Vielleicht kennen Sie jemanden, der sich hat liften lassen, möchten aber selbst lieber zu einer unblutigen und dennoch wirksamen Alternative greifen. Oder Sie lesen in den Journalen über die Vorzüge, aber auch die Risiken der mittlerweile so beliebten „Botox-Partys“ und können sich diese Behandlung für sich selbst nicht vorstellen. Auf ihrer Suche nach einem natürlichen Wegweiser stießen manche mehr oder weniger zufällig auf mein Buch „Das Fitness-Training fürs Gesicht“.
Die Motive für das „Fitness-Training“ sind unterschiedlich: als kosmetische Maßnahme, zur Schönheitspflege, aus gesundheitlichen Gründen oder zur Steigerung der persönlichen Ausstrahlung. Genauso vielfältig sind die Wirkungen der Gesichtsgymnastik, und zwar sowohl auf die jugendliche wie die alte Haut: Sie verbessert Durchblutung und Lymphfluss, beseitigt Abfallstoffe und bewirkt einen frischen Teint. Außerdem hilft sie, unsere Gesichtsmuskeln (Mimik) zu entspannen, und entscheidet maßgeblich darüber, wie attraktiv wir auf unsere Umgebung wirken. Die Gesichtsgymnastik wird keine Wunder gegen die biologische Uhr vollbringen. Sie wird nicht jede Falte aus dem Gesicht verbannen und Sie zum Model wandeln. Aber sie wird Ihr Selbstvertrauen stärken, indem Sie den Alterungsprozess nicht einfach resignierend hinnehmen, sondern versuchen, ihn zu verlangsamen.
Warum aber Gymnastik, wenn es Cremes und Co. gibt? Die Antwort kennen Sie selbst: Weil Kosmetik nicht wirklich hilft. Soll die Haut auch in späteren Jahren gesund und frisch aussehen, muss frühzeitig mit ihrer sorgfältigen Pflege im umfassenden Sinn begonnen werden. Sie wird es uns danken, genau wie sie uns das Gegenteil, die Missachtung, übel nimmt. Allerdings sind viele zunächst sichtbare Effekte von Cremes nur oberflächlich und vorübergehend: Die Haut in den Fältchen wird mit Feuchtigkeit angereichert und geglättet, aber auf der Zellebene ändert sich nichts. Echte positive Wirkungen in tieferen Schichten der Haut – nämlich dort, wo neue Zellen, neues Kollagen und elastische Fasern entstehen – erreichen Sie nicht mit passivem Cremen, sondern durch aktive Gymnastik.
Das Hautbild muss von innen her verbessert und aufgebaut werden. Pflege von außen ist nur ein unterstützender Faktor. Feuchtigkeitsspendende Cremes helfen, den Säureschutzmantel der Haut aufrechtzuerhalten, und schützen die Haut vor dem Austrocknen. Alles andere erreichen Sie am besten durch eigene Aktivität, die zudem nichts kostet und immer verfügbar ist. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Beharrlichkeit beim Durcharbeiten dieses Buches. Der Erfolg stellt sich dann unaufhaltsam ein. Und: Gesichtsgymnastik entspannt, bewirkt eine seelische Ausgeglichenheit und baut Stress ab!
Wissen über die Haut
Die Haut ist mehr als nur die Hülle unseres Körpers. Sie grenzt uns nach außen hin ab und spielt eine wichtige Rolle als Schutz- und Abwehrorgan. Sie hilft, unsere Körpertemperatur konstant zu halten. Darüber hinaus sorgt sie für vielfältige Sinneswahrnehmungen. Gründe genug, sich einmal intensiv mit ihrem Aufbau zu beschäftigen.
Für eine straffe und frische Haut
Die Haut ist eine lebendige, äußerst dynamische Hülle. Wir erhalten ihre Funktionsfähigkeit, ihre weiche, elastische Beschaffenheit durch ausgewogene Ernährung, konsequente Pflege und viel Bewegung an der frischen Luft. Regelmäßige Gesichtsgymnastik hilft, Ihre Haut lebendig, straff und frisch zu erhalten.
Die Haut sollte elastisch, geschmeidig und gut durchblutet sein. Die Schönheit der Haut hängt nicht zuletzt von der Gesichtsmuskulatur ab. Die Gesichtshaut ist mit den Gesichtsmuskeln direkt verbunden und muss deren Bewegungen folgen. Dadurch entsteht auch der mimische Ausdruck des Gesichts. Nimmt die Spannkraft dieser Muskeln ab und verkümmern sie, weil wir viele von ihnen im täglichen Leben kaum benutzen, dann wird unsere Haut vorzeitig altern und erschlaffen. Dann droht die „Gesichtskonstruktion“ wie bei einem verwitterten Bauwerk einzustürzen.
Die zweite Stütze des Gesichts sind die kollagenen und elastischen Fasern des Bindegewebes der Lederhaut. Auch sie können sich zurückbilden und an Festigkeit, Elastizität sowie an Volumen verlieren.
Durch eine gezielte, tägliche Gesichtsgymnastik wird das kollagene und subkutane Bindegewebe optimal durchblutet, die Hautzellen erhalten genügend Sauerstoff und Nährstoffe, die Muskel- und Bindegewebsfasern bleiben länger erhalten und regenerieren sich schneller. Die Haut erhält dadurch ein rosiges, straffes, frisches, jugendliches Aussehen. Auch die Lymphzirkulation wird durch Kontraktionsübungen positiv beeinflusst. Schlacken werden besser beseitigt und die Zellen gereinigt.
Wichtig
Der Wechsel von Spannung und Entspannung regt die kollagenen Fasern an, sich zu vermehren. Das Gewebe wird dadurch fester und straffer.
Durch die im zweiten Teil dieses Buches beschriebenen Gesichtsübungen können wir verhindern, dass die Muskeln und die elastischen und kollagenen Fasern sich zu rasch zurückbilden und ihre Spannkraft verlieren, wie es ja der Alterungsprozess mit sich bringt. Wir können mit einfachen, natürlichen Mitteln einem frühzeitigen Alterungsprozess der Gesichtshaut entgegenwirken und sogar teilweise Degenerationsschäden wieder ausgleichen. Denn durch den An- und Entspannungsreiz bzw. durch die sanfte Dehnung mit nachfolgender Entspannung der Gesichtshaut werden die Bindegewebszellen angeregt, mehr Kollagen und Elastin zu bilden. Diese beiden Stoffe sind für die Hautfestigkeit und -elastizität entscheidend. Außerdem lernen wir, durch ein bewusstes An- und Entspannen der Gesichtsmuskeln unsere Mimik besser zu kontrollieren und dadurch verstärkte Mimikfalten zu vermeiden. Das Gesicht wirkt ansprechender, ausdrucksvoller, strahlender.
Gesichtsgymnastik hilft, die Haut elastisch und straff zu halten.
Spannungen abbauen
Fältchen im Gesicht unterstreichen unsere Lebenserfahrung und unsere Individualität. Kurz: Sie gehören zum Älterwerden. Aber im Laufe unseres Lebens eignen wir uns viele (schlechte) Gewohnheiten an, die sich oft tief in unsere Gesichtshaut eingraben. Gesichtsgymnastik wirkt solchen Anspannungen entgegen.
Zu der mimischen Gesichtsmuskulatur werden in der Regel 24–26 Muskeln gezählt. Die Anzahl ist relativ willkürlich, da manche Muskeln aus mehreren Teilen bestehen (der Oberlippenmuskel besteht z. B. aus 3 Teilen). Außerdem sind an der Mimik auch angrenzende Halsmuskeln beteiligt. Wie alle Muskeln können auch die kleinen Gesichtsmuskeln erschlaffen, weil wir sie im täglichen Leben kaum benützen. Dann ist ihre Durchblutung und damit ihre Ernährung nicht mehr gewährleistet. Kontraktionsübungen helfen, sie zu stärken und elastisch und wohl geformt zu erhalten. Umgekehrt entstehen häufig typische Falten, wenn wir aus schlechter Gewohnheit immer wieder einen bestimmten Gesichtsausdruck einnehmen, z. B. beim Essen oder Sprechen. Aber nicht nur Falten, auch Gesichtsschmerzen können durch einen gewohnheitsmäßigen Gesichtsausdruck entstehen (ebenso durch Bewegungen wie nächtliches Zähneknirschen).
Muskeln, die dauernd kontrahiert werden, verspannen und tun weh. Leider nimmt man dies bewusst überhaupt nicht mehr wahr. Diese Körperwahrnehmung können Sie aber wieder erlernen, da die Übungen auch das Körpergefühl schulen und uns spüren lassen, wenn wir Muskeln unnötig anspannen. Durch die im zweiten Teil des Buches beschriebenen Kontraktionsübungen, Atem- und Entspannungsübungen lernen wir, diese Muskeln besser zu kontrollieren und zu entspannen. Nicht nur unser Gesichtsausdruck wird freier, lockerer, gelöster, sondern auch unser ganzes Wesen, denn körperliche Spannungszustände lösen innere Anspannung aus und umgekehrt; körperliche Entspannung lässt uns auch seelisch zur Ruhe kommen.
Falten gehören dazu
Es geht keineswegs darum, jegliche Falte im Gesicht zu vermeiden, denn zum reifen, „lebenserfahrenen“ Gesicht gehören Falten in gewissem Umfang einfach dazu. Die zunehmende Weisheit und Aussagekraft, die ein Mensch im mittleren Alter einem Jugendlichen voraus hat, darf sich in seinem Gesichtsausdruck ruhig zeigen und soll nicht vertuscht werden. Es kommt vielmehr darauf an, wie sich die Fältchen in das Gesicht einprägen. So können wir z. B. teilweise verhindern, dass tiefe Zornesfalten zwischen den Augenbrauen entstehen oder heruntergezogene Falten um die Mundwinkel uns eine dauernde Griesgrämigkeit bescheinigen. Je härter und starrer das Bindegewebe wird, umso tiefer können sich Falten ausbilden. Wir können dafür sorgen, dass dieser Prozess nicht beschleunigt, sondern verzögert stattfindet, und wir können unser Gesicht so pflegen bzw. durch Gesichtsgymnastik so frisch, geschmeidig und fest erhalten, dass nur kleine Fältchen – nicht eingegrabene Furchen – enstehen.
Gesichtsgymnastik ist wichtig
Um das Ausmaß der Problematik zu begreifen, müssen wir uns erst einmal damit beschäftigen, wie die Haut aufgebaut ist, nach welchen Gesetzen sie funktioniert und wie sie schön gehalten werden kann. Dann werden wir auch verstehen, dass passives Salben immer nur dem Glatt- und Geschmeidighalten der Oberhaut dienen kann, denn die Aufnahmefähigkeit der Haut für Stoffe von außen ist gering. Cremes binden die Hautfeuchtigkeit und erhalten die Oberflächenschicht weich. Jedoch spätestens ab dem 30. Lebensjahr sollte die Hautpflege durch eine spezielle Gesichtsgymnastik unterstützt werden, damit die Gesichtskonturen straff, die Muskeln kräftig bleiben und die Zellen sich rasch regenerieren können.
Wichtig
„Man altert, wie man lebt.“ Das ist eine große Chance: Sie können durch Ihre Lebensweise einiges dafür tun, den Alterungsprozess zu verzögern.
Möglichkeiten, das Altern zu verzögern
Richtige Ernährung, Entspannung und Bewegung sind die Schlüsselworte.
- Ernähren Sie sich ausgewogen und verantwortungsvoll.
- Trinken Sie reichlich – Mineralwasser, Kräutertees und Säfte ohne Zuckerzusatz.
- Gehen Sie sehr maßvoll mit Genussmitteln um.
- Nehmen Sie Medikamente nur ein, wenn dies unumgänglich ist.
- Informieren Sie sich über Schadstoffe in Ihrer Umgebung; gehen Sie ihnen aus dem Weg.
- Meiden Sie intensives UV-Licht, vor allem die Mittagssonne.
- Lassen Sie sich nicht von zu viel körperlichem und seelischem Stress überwältigen; schalten Sie öfters ab.
- Lernen Sie eine Entspannungstechnik, z. B. entspannendes Atmen.
- Bewegen Sie sich ausgiebig – täglich! Bewegung, z. B. Gymnastik, vertieft die Atmung und führt dem Organismus mehr Sauerstoff zu, mit allen positiven Folgen.
Folgende Organe und Funktionselemente sind gut durch Gymnastik zu trainieren:
- Herz und Kreislauf einschließlich Gehirngefäße
- Lunge und Atemwege
- Verdauungsorgane
- Harnwege
- Geschlechtsorgane
- Immunsystem
- Bewegungsapparat – Muskeln, Bänder, Gelenke
- Augen
- Haut
In jedem Fall wirkt sich beharrliches Üben auch günstig auf die Psyche aus.
Viel trinken, am besten ungesüßte Tees, Säfte oder Wasser.
Lymphdrainage zum Entschlacken und Beleben
Das Lymphsystem arbeitet wie eine „Körperpolizei“, indem es Giftstoffe, Stoffwechselschlacken und Bakterien aus dem Gewebe unschädlich macht und abtransportiert. Mit ein paar Tricks bringen Sie die Lymphe wieder richtig in Fluss, was Schwellungen, z. B. um die Augen herum, und Hautunreinheiten vorbeugt.
Die Lymphe ist eine Gewebeflüssigkeit, die unsere Körperzellen umspült und selbst die Zellen noch von Abfallstoffen befreit, die nicht mehr vom Blut erreicht werden. Das Lymphsystem beginnt in der Peripherie mit feinen Gefäßen, die ähnlich wie Löschpapier die Gewebeflüssigkeit aufsaugen. Die feinen Lymphgefäße vereinigen sich zu immer größeren Bahnen, die etwa parallel zum Venensystem herzwärts verlaufen. Die Hauptlymphbahnen vereinen sich zum Milchbrustgang, der zusammen mit anderen Sammelgefäßen hinter dem Schlüsselbein ins Venensystem einmündet. Zwischen die Lymphbahnen sind die Lymphknoten geschaltet; sie „filtrieren“ die Lymphe und produzieren Abwehrzellen (Lymphozyten). Lymphknoten befinden sich im ganzen Körper. Besonders gut tastbar sind sie am Hals (z. B. bei einer Angina) und hinter den Ohren.
Die Lymphe wird von der Aktivität der Muskeln bewegt. Ähnlich wie die Venen sind die Lymphgefäße mit Klappen versehen, die wie Einwegventile funktionieren und ein Zurückfließen der Lymphe verhindern. Arbeiten Muskeln zu wenig oder zu langsam, staut sich die Lymphe sehr schnell. Verursacht oder begünstigt wird eine Stauung auch durch zu flaches Atmen, Übergewicht, Genussgifte, ungesunde Ernährung, Bindegewebsschwäche und verschiedene Erkrankungen. Sehr deutlich lässt sich ein geschwächter Lymphfluss morgens an geschwollenen Augenlidern oder Tränensäcken ablesen; aber sichtbar wird er auch häufig, nach langem Stehen oder Sitzen, an den Knöcheln. Dies kann sich zu massiven Wasseransammlungen im Gewebe, sogenannten Ödemen, steigern.
Natürliches Anti-Aging
Wie bleibe ich länger jung? Dieses Buch zeigt, welche immense Bedeutung Hormone auf unseren Alterungsprozeß haben und was man tun kann, um mit der Kraft der Hormone länger jung zu bleiben. Was kann jede Frau und jeder Mann tun, damit die Hormone auch im Alter ausreichend vorhanden und im Gleichgewicht sind. Das Ziel ist ein gesundes, erfülltes und damit auch längeres Leben. Better-Aging im besten Wortsinn.
Wie Sie mit der Kraft Ihrer Hormone länger jung bleiben
Wie bleibe ich länger jung? „Typisch Frau“, werden sie wahrscheinlich sagen, aber die Frage, wie ich möglichst lange ein gesundes, erfülltes Leben führen kann, beschäftigt mich – wie wahrscheinlich jede Frau und auch so manchen Mann – seit ich Mitte dreißig bin. Heute, im Alter jenseits der fünfzig, habe ich genügend berufliche und persönliche Erfahrungen gesammelt, um auf diese Frage eine Antwort geben zu können.
In diesem Buch will ich Ihnen zeigen, welche immense Bedeutung Hormone für unseren Alterungsprozess haben, und was man tun kann, um mit der Kraft der Hormone länger jung zu bleiben.
Ich möchte Sie zudem an meinen persönlichen Erfahrungen zum Thema Jungbleiben teilhaben lassen und Ihnen verschiedene Strategien und Maßnahmen aufzeigen, mit denen Sie länger jung aussehen und mehr Spaß am Leben haben werden.
In meinem ersten Buch „Natürliche Hormontherapie“, das ich zusammen mit der Ärztin Dr. Annelie Scheuernstuhl geschrieben habe, ging es darum, zu erklären, welche Krankheiten und Beschwerden hormonelle Ursachen haben und wie man diese Krankheiten mithilfe von natürlichen Hormonen auf schonende Art und Weise behandeln kann. Ausführlich haben wir dort über die unterschiedlichen Symptome bei Mann und Frau geschrieben und über das Ungleichgewicht lebensnotwendiger Hormone berichtet, welches in der derzeitigen Behandlungspraxis vieler Ärzte häufig übersehen wird.
Das vorliegende Buch geht auf den „Frühling im Herbst“ ein und soll das Thema Hormone aus einem anderen Blickwinkel beleuchten: Es geht hier nicht um eine Therapie bei Krankheit oder starken Beschwerden, sondern in erster Linie um Vorbeugung, um die sogenannte Prophylaxe. Also um die Frage: Was kann jeder – Frau und Mann tun –, damit die Hormone auch im Alter ausreichend vorhanden und im Gleichgewicht sind? Das Ziel ist ein gesundes, erfülltes und damit oft auch längeres Leben. Better-Aging im besten Sinne des Wortes.
„Altern passiert, wenn die Degeneration höher ist als die Regeneration“ – das ist die wissenschaftliche Erklärung, aber was bedeutet das genau und wie erreichen wir eine Regeneration des Körpers und der Zellen? Oder ist es etwa so, dass Mutter Natur jeden Menschen mit einer Art innerer Uhr ausgestattet hat, die unserem Körper mitteilt, wann es Zeit ist, zu gehen? Gibt es so etwas wie einen Jungbrunnen oder ist das nur ein Traum? Ist das Ziel realistisch und auf einem natürlichem Weg zu erreichen? Es fällt uns ungemein schwer, zu akzeptieren, dass das Altern ein unausweichlicher Prozess ist, dem jeder Mensch vom Augenblick seiner Geburt an bis zum Tod unterworfen ist. Schon junge Menschen machen sich Gedanken, wie sie es schaffen können, lange jung und schön zu bleiben. Gibt es überhaupt Möglichkeiten, die Elastizität der Jugend und die volle Schaffenskraft zu erhalten?
Ich glaube, dass wir nicht erst dann handeln sollten, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Unser Ziel sollte es sein, den Alterungsprozess möglichst früh zu verlangsamen. Die Wissenschaft ist dem schon sehr nah gekommen. Dr. Michael Rose, Professor an der California Irvine University, eine Kapazität auf dem Gebiet der Alterungsforschung, konstatiert: „Das 20. Jahrhundert wird als die letzte Epoche in die Geschichte eingehen, in der die Menschen ihrem degenerativen Alterungszerfall hilflos ausgesetzt waren.“
Die mittlere Lebenserwartung beträgt in den westlichen Industrienationen bei Frauen 77 bis 83 Jahre und bei Männern 72 bis 77 Jahre. Biologisch gesehen beginnt das Altern jedoch bereits ab Mitte zwanzig, wenn die Hormone – mit unterschiedlicher Geschwindigkeit – ihre Produktion verringern und dadurch der Hormonspiegel sinkt.
Laut Prognosen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) steigt die Lebenserwartung weiter an, die Lebensqualität hingegen sinkt. Es geht in diesem Buch nicht darum, einfach nur das Leben zu verlängern, sondern mit zunehmendem Alter weiterhin ein gutes und gesundes Leben zu führen. Was nützen uns zusätzliche Lebensjahre ohne unsere Jugendlichkeit und eine bessere Lebensqualität? Es geht darum, unsere Jahre mit Leben zu füllen und nicht unser Leben mit Jahren. Unser genetischer Anteil für die Geschwindigkeit des Alterns, der bei unserer Geburt schon festgelegt ist, liegt bei ca. 30%. Die restlichen 70% aber können wir beeinflussen!
Ein beginnendes hormonelles Ungleichgewicht kann sich durch vielerlei kleinere und größere Befindlichkeiten oder gar Beschwerden zeigen. Dabei muss es gar nicht erst zu krankhaften Symptomen kommen, bereits erste Veränderungen der Lebensqualität können Hinweise auf einen abgesunkenen Hormonspiegel oder ein Ungleichgewicht der Hormone zueinander sein.
Wenn die Hormonproduktion dauerhaft zu niedrig ist und weitere Faktoren, wie z.B. Dauerstress, dazukommen, können aus den zunächst kleinen Beschwerden ernsthafte Krankheiten mit deutlichen Symptomen werden.
Der beste Weg, es gar nicht so weit kommen zu lassen, ist eine natürliche Hormonprophylaxe, also die Aufrechterhaltung eines gesunden Hormonsystems. Im Gegensatz zur natürlichen Hormontherapie, der Behandlung von hormonell bedingten Krankheiten, setzt die Prophylaxe bereits zu einem erheblich früheren Zeitpunkt ein. Bildlich gesprochen geht es in diesem Buch nicht darum, zu zeigen, wie man das Kind aus dem Brunnen holen kann, wenn es bereits hineingefallen ist (darum kümmert sich die natürliche Hormontherapie), sondern es geht darum, das Kind gar nicht erst hineinfallen zu lassen (dafür steht die natürliche Hormonprophylaxe). Zur besseren Unterscheidung möchte ich den Blick auf den Hormonspiegel sowohl bei Frauen als auch bei Männern in Abhängigkeit von Ihrem Alter und eventueller Beschwerden bzw. Krankheiten in drei Phasen einteilen, die unterschiedliches Handeln erfordern. Dabei soll etwa die Zeit vom 35. Lebensjahr an betrachtet werden. Ab diesem Lebensabschnitt ändert sich der Hormonhaushalt jedes Menschen nachhaltig.
Abb. 1: Die Entwicklung der Hormonproduktion im Laufe des Lebens
Phase 1:
Ab ca. Mitte dreißig sinkt unmerklich die Hormonproduktion. Das hat zunächst noch keine akuten Auswirkungen auf Ihr Befinden, aber es setzt ein schleichender Prozess ein, den es gilt, frühzeitig zu identifizieren und aufzuhalten. Ich empfehle Ihnen, Ihren Hormonspiegel schon zu diesem Zeitpunkt testen zu lassen, also dann, wenn noch alles in Ordnung zu sein scheint. Damit haben Sie bei späteren Tests ein genaues Bild über den Rückgang Ihrer eigenen Hormonproduktion und sind nicht auf sogenannte Referenzwerte angewiesen. In der Praxis hat sich der Hormonspeicheltest bewährt, weil er den aktuellen Zustand der „freien“ Hormone sehr gut widerspiegelt. Der Test verläuft ganz einfach: Sie senden eine Speichelprobe an ein darauf spezialisiertes Labor und erhalten daraufhin eine detaillierte Analyse der einzelnen Hormone. In der ersten Phase gilt es, durch natürliche Maßnahmen die körpereigene Hormonproduktion anzukurbeln und so lange wie möglich auf einem hohen Niveau zu halten. Wie Sie Ihre Hormonproduktion natürlich stimulieren können, werde ich in diesem Buch ausführlich beschreiben.
Phase 2:
In dieser Phase (meist um das 50. Lebensjahr herum) zeigen sich die ersten Störungen, die mit dem Älterwerden und einer Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens zusammenhängen. Am Anfang sind es nur kleine „Zipperlein“, die oft verharmlost werden. Hier einige typische Beschwerden, die in dieser Phase auftreten können:
zunehmende Müdigkeit
der Schlaf wird schlechter, oberflächlicher und kürzer
man muss nachts öfters raus
Gereiztheit und Stimmungsschwankungen nehmen zu
Gelenkschmerzen, steife Gelenke, beginnende Arthritis machen sich bemerkbar
die Lust auf Sex nimmt ab
bei Männern lässt die Erektionsfähigkeit nach
die Haut wird dünner und faltiger und zeigt unschöne Flecken (Altersflecken)
die Haare werden dünner und ergrauen
mit Stress kann man nicht mehr so gut umgehen
das optimistische Lebensgefühl nimmt ab, ebenso das Selbstvertrauen
die geistige Klarheit und die Konzentration lassen nach
man wird vergesslicher
Männer bekommen einen Brustansatz
eine schleichende Gewichtszunahme erfolgt – vor allem am Bauch-, die trotz Sport und Diät nicht weggeht
die Muskelmasse nimmt ab, der Fettanteil nimmt zu
der Stoffwechsel verlangsamt sich, manche Speisen werden nicht mehr so gut vertragen
die Immunabwehr wird schwächer, man fängt sich leichter Krankheiten ein
beginnende Hitzewallungen.
Auch in dieser Phase gilt es, zunächst den aktuellen Hormonstatus mit Hilfe eines Speicheltests festzustellen. Je nach Ergebnis wird in dieser Phase entweder durch natürliche Maßnahmen die Hormonproduktion wieder angeregt oder Ihr Arzt oder Therapeut gibt Ihnen kleinere Mengen natürliche Hormone, um die Beschwerden in den Griff zu bekommen. Das kann sowohl mit bioidentischen als auch mit homöopathischen Hormonen geschehen. Auch dazu finden Sie in diesem Buch viele Informationen.
In den beiden ersten Phasen geht es um eine hormonelle Prävention, sie werden deshalb als Phasen der „natürlichen Hormonprophylaxe“ bezeichnet. Ziel dieser Phasen ist es, die positive Kraft der körpereigenen Hormone zu nutzen, um den Alterungsprozess nachhaltig zu verlangsamen.
Phase 3:
Wenn sich bereits schwere hormonbedingte Krankheitssymptome zeigen, befinden Sie sich in der dritten Phase. Sie ist weitgehend unabhängig vom Lebensalter, tritt jedoch häufig ab Mitte fünfzig, Anfang sechzig auf. Hier geht es nicht mehr um Vorbeugung, sondern um Behandlung. Diese Phase und die darin erforderlichen Maßnahmen haben wir in unserem Buch „Natürliche Hormontherapie“ von Dr. Annelie Scheuernstuhl und Anne Hild, Aurum Verlag 2010, beschrieben. Darin gehen wir ausführlich auf die wichtigsten hormonbedingten Krankheiten und deren Behandlung mit bioidentischen Hormonen ein. Um Dopplungen und Wiederholungen zu vermeiden, werde ich im vorliegenden Buch diese Phase 3 nur am Rande erwähnen.
Hormone – lebenswichtige Botenstoffe
Was sind Hormone?
Hormone sind chemische Botenstoffe, die unser Körper selbst herstellt.
Unser Hormonsystem ist ein vielschichtiges und komplexes System. Hormone bestimmen unser Leben maßgeblich und sind außerordentlich wichtig für das Zusammenspiel unserer Körperfunktionen, wie Wachstum, Stoffwechsel, Blutdruck, Herzfrequenz, Blutzuckerspiegel, Körpertemperatur, Wasserhaushalt, Zeugungsfähigkeit, Fortpflanzung, Schwangerschaft.
Sie steuern unser sexuelles Verlangen und auch unsere Stimmungslage wird entscheidend von Hormonen beeinflusst.
Wo werden Hormone gebildet?
Die Impulse für die Bildung von Hormonen gehen vom Gehirn aus, genauer gesagt vom Hypothalamus und der Hypophyse. Gebildet werden sie überwiegend in den endokrinen Drüsen, die sich an verschiedenen Körperstellen befinden. Die wichtigsten endokrinen Drüsen sind: Hypothalamus, Hypophyse (Hirnanhangdrüse), Zirbeldrüse (Epiphyse), Schilddrüse, Nebenschilddrüse, Thymus, Nebenniere und Langerhans´sche Zellen im Pankreas. Hormone werden ins Blut abgegeben, wo sie an exakt passende Rezeptoren andocken. Die Hormonproduktion funktioniert nach dem Prinzip von Bedarf und Nachfrage: Ähnlich einem Thermostat am Heizkörper produziert der Körper Hormone, wenn er sie braucht. Ist die gewünschte Raumtemperatur erreicht, schließt das Thermostat bzw. der Körper stellt die akute Hormonproduktion ein. Sinkt die Raumtemperatur, öffnet sich das Thermostat wieder bzw. der Körper produziert wieder Hormone.
Abb. 2: Wo werden Hormone gebildet?
Es gibt drei verschiedene Arten von Hormonen:
- Steroid- oder Geschlechtshormone
- Peptid- oder Proteohormone
- Aminosäureabkömmlinge oder Amine
Die Steroid- oder Geschlechtshormone sind verantwortlich für die Ausbildung der weiblichen und männlichen Geschlechtsmerkmale und die Fortpflanzung. Sie entstehen mithilfe des Cholesterins aus der Leber. Cholesterin gehört zur Gruppe der Lipide und ist, wie alle Steroidhormone, fett-, aber nicht wasserlöslich. Diese Gruppe beinhaltet alle Sexualhormone wie Pregnenolon, Progesteron, Östrogene, Cortisol, Aldosteron, DHEA und Testosteron.
Gebildet werden sie in der Nebennierenrinde, den Eierstöcken und den Hoden. Abgebaut werden sie über die Leber und die Nieren.
Die Peptid- oder Proteohormone sind wasserlöslich und entstehen durch Proteinsynthese. Sie werden im Zentralnervensystem (ZNS), dem autonomen Nervensystem, der Hypophyse, dem Gastrointestinaltrakt und anderen Körperorganen gebildet. In dieser Gruppe finden sich alle Hormone des Hypothalamus und der Hypophyse wie Oxytocin, Prolaktin, HGH-Wachstumshormone, Somatotropin, Glucagon, LH, FSH, TSH und ACTH, HCG, Parathormon, Insulin und Kalzitonin.
Die Aminosäureabkömmlinge oder Amine sind in ihrer Mole kularstruktur sehr klein und werden aus nur einer Aminosäure gebildet. Sie sind ebenfalls wasserlöslich. Gebildet werden diese Hormone im Nebennierenmark und in der Schilddrüse. Darunter fallen Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, Trijodthyronin und Thyroxin.
Abb. 3: Funktionen der Organe bei der Hormonproduktion
Warum nimmt die Hormonproduktion im Alter ab?
Die Pegel der Hormone fallen mit fortschreitendem Alter kontinuierlich ab. Das ist sowohl bei Frauen als auch bei Männern so.
Abb. 4: Abnahme der Hormonproduktion im Alter
Etwa ab dem 25. Lebensjahr bis zum 50. Lebensjahr geht bei Frauen die Östrogenproduktion um ca. 30% zurück. Auch beim Progesteron sehen wir schon sehr früh einen Rückgang der Produktion, der mit ca. 35 Jahren beginnt und bis zum 50. Lebensjahr schon 75% betragen kann. Das Östradiol lässt nach der Menopause nach, und auch das Melatonin wird nach dem 40. Lebensjahr kontinuierlich weniger.
Die Hormonspiegel des Wachstumshormons HGH, von Testosteron und DHEA können bis zum 50. Lebensjahr schon um die Hälfte sinken. Beim Mann geschieht dies später und auch langsamer als bei der Frau, doch für beide Geschlechter gilt: Ein 80- bis 90-Jähriger verfügt nur noch über 10% der Hormone, die sein Körper in seinen besten Zeiten als junger Mensch produziert hat. Mit den Jahren werden einfach immer weniger Hormone produziert, doch es gibt noch weitere Faktoren, welche die Hormonproduktion sinken lassen oder zu einer hormonellen Dysbalance führen können.
Defizite in der Ernährung, vor allem die Zusammensetzung und die Menge der aufgenommenen Nahrung, üben einen wichtigen Einfluss auf die Hormonbildung und damit auf das Altern aus:
Rauchen, Alkohol und ein unregelmäßiger und ungesunder Lebenswandel verringern die Hormonbildung.
Chronischer Stress hat gravierende Auswirkungen auf die Hormonproduktion: Er lässt den Menschen überdurchschnittlich schnell altern. Stress „verbraucht“ wichtige Nebennierenrindenhormone und kann so zu einem Ungleichgewicht dieser und weiterer Hormone beitragen.
Bewegungsmangel reduziert die körpereigene Produktion von Testosteron und weiteren Hormonen.
Schlafprobleme über einen längeren Zeitraum können auf einen Mangel von Melatonin hinweisen. Fehlt uns Melatonin, schlafen wir nicht nur schlechter, wir altern auch schneller und bilden zudem noch weniger HGH (Wachstumshormon).
Dass im Alter weniger Hormone produziert werden, ist also eine Tatsache. Es liegt deshalb nahe, zu behaupten, dass sinkende Hormonproduktion und Alterung Hand in Hand gehen und nicht beeinflussbar sind. Doch dem ist zum Glück nicht so!
Wir wissen inzwischen, dass ein ausreichend hoher Hormonspiegel erheblich dazu beiträgt, dass wir uns gesund, jugendlich und wohl fühlen. Die Wissenschaft geht heute davon aus, dass nur rund ein Drittel der Faktoren, die uns altern lassen, genetisch bedingt sind. Das klingt viel, aber man kann auch sagen: „Es sind nur 30%.“ Denn anders ausgedrückt: 70% sind nicht genetisch bedingt und lassen sich von uns beinflussen! Zu diesen 70% gehören auch die Maßnahmen und Tipps in diesem Buch, um einen gesunden Hormonhaushalt zu erhalten und sich dadurch bis ins hohe Alter hinein gut und gesund zu fühlen.
Hormone sind Teamplayer
Hormone wirken nicht isoliert, sondern beeinflussen sich gegenseitig. Nimmt die Produktion eines Hormons ab, hat dies immer auch Auswirkungen auf eines oder mehrere andere Hormone. Deshalb ist die richtige Balance der Hormone so wichtig. Ergänzen Sie nur ein einziges Hormon, z.B. in einer Hormontherapie, hat dies ebenfalls Auswirkungen auf andere Hormone. Allerdings ist es nicht leicht, dieses Gleichgewicht zu erreichen – dazu ist viel Erfahrung nötig.
Am Anfang steht das Cholesterin
Ausgangsstoff aller Geschlechtshormone ist das Cholesterin.
Abb. 5: Die wichtigsten Geschlechtshormone und der Weg ihrer Bildung
Cholesterin ist ein Stoff, der häufig zu Unrecht verdammt wird. Dass der Cholesterinspiegel im Laufe der Jahre steigt, ist vielleicht kein Zufall. Interessant ist, dass diese Tatsache mit einer Abnahme der Geschlechtshormone und der Schilddrüsenhormone zusammenfällt und dadurch oft nicht mehr genügend Cholesterin für die Hormonbildung zur Verfügung steht. Kann es vielleicht sein, dass ein erhöhter Cholesterinspiegel auch ein Zeichen für einen gesteigerten Bedarf an den so wichtigen Geschlechtshormonen ist?
Vereinfacht gesagt, lässt sich Cholesterin in zwei Typen unterteilen: das „gute“ HDL und das „schlechte“ LDL. Ohne gutes Cholesterin können sich die Zellen nicht richtig teilen. Es ist vor allem das LDL-Cholesterin, das ein Risiko darstellt, während das HDL-Cholesterin den Körper schützt. In der Regel verschreiben die Ärzte bei einem chronisch erhöhten LDL-Wert sogenannte Cholesterinsenker als Medikamente, dabei haben diese zum Teil erhebliche Nebenwirkungen. Doch es gibt durchaus natürliche Möglichkeiten, einen zu hohen Cholesterinspiegel zu senken. Laut einer aktuellen Studie, die auf der Tagung „Experimental Biology 2011“ in Washington vorgestellt wurde, senken 75 Gramm getrocknete Apfelscheiben täglich binnen eines halben Jahres den LDL-Cholesterinwert um 23%. Das sind durchaus Effekte, die mit medikamentösen Cholesterinsenkern mithalten können. Bemerkenswert ist auch eine Wiener Studie aus dem Jahre 1992, in der man Patienten mit hohen Blutfettwerten ein Präparat aus Apfelpektin verabreichte. Ihr Blut zeigte bereits nach sechs Wochen einen um bis zu 30% verringerten Wert an schädlichem LDL-Cholesterin – der Wert der nützlichen, die Blutgefäße „putzenden“ HDL-Fraktionen ging dagegen nach oben.
Grüntee aus Fernost sowie der halbfermentierte Oolong-Tee aus Taiwan hemmen die Aufnahme von Fetten aus der Nahrung. Hauptverantwortlich dafür sind vermutlich ihre Gerbstoffe und Saponine. Eine aktuelle Studie der Oklahoma State University von 2010 bestätigt die LDL-senkende Wirkung von Grüntee auch bei Patienten, die bereits an Fettstoffwechselstörungen leiden. In dieser Untersuchung tranken die Probanden vier Tassen Tee pro Tag. Ingwer, Knoblauch, Nüsse, Erbsen, Leinsamen und Flohsamen sind weitere natürliche Cholesterinsenker.
Hormone, die beim Jungbleiben helfen
Welches sind nun die wichtigsten Hormone, die Einfluss auf das Älterwerden haben, und was passiert, wenn wir zu wenig oder – durch ein Ungleichgewicht – zu viel davon im Körper haben?
DHEA – das Jungbrunnenhormon
DHEA – mit dem unaussprechlichen Namen Dehydroepiandrosteron – gehört zur Gruppe der Androgene, der männlichen Geschlechtshormone. Es wird oft als Prohormon oder Mutterhormon bezeichnet, da es die Vorstufe anderer wichtiger Hormone wie Östrogen, Progesteron und Testosteron ist. DHEA wird hauptsächlich in der Nebennierenrinde gebildet, bei Frauen auch in den Eierstöcken. Ein ausreichend hoher DHEA-Spiegel führt zu einer Gesamtverbesserung des Wohlbefindens, der Lebenslust, der Leistungskraft und steigert die Energie. Es sorgt für Jugendlichkeit, gesteigerte Libido und eine verbesserte Fettverbrennung, da es aktivierend auf den Stoffwechsel wirkt. Wie Testosteron stärkt DHEA die Muskeln. Eine ausreichende Menge dieses Hormons ist wichtig für die Testosteronbildung bei beiden Geschlechtern, stimuliert die Bildung von HGH (Wachstumshormonen) und stärkt die Funktion des Thymus, einem wichtigen Organ für die Immunabwehr. In diesem werden die T-Lymphozyten geprägt, die Voraussetzung für die Körperabwehr sind, da sie in der Lage sind, zwischen „Freund und Feind“ zu unterscheiden.
Ein ausgeglichener DHEA-Spiegel schützt das Herz, verzögert den Beginn bzw. das Fortschreiten von Diabetes und wirkt sich günstig auf Arthritis aus. Ausgeglichene DHEA-Werte vermindern den Knochenabbau und sorgen für einen gesunden Schlaf. Auf unser Gehirn hat DHEA, wie auch Progesteron, eine stark belebende Wirkung und kann Ängste lindern. In ausreichender Menge vorhanden, spielt es besonders beim Älterwerden eine wichtige Rolle. DHEA wird deshalb oft auch als „Jungbrunnenhormon“ bezeichnet – und das zu Recht.
DHEA ist ein Gegenspieler des Cortisols, da es überschüssiges Cortisol kontrolliert. Normalerweise ist in einem gesunden jungen Körper der DHEA-Wert hoch und der Cortisolwert niedrig. Dabei kommt es auch auf das Verhältnis zwischen den beiden an: Der Wert von DHEA sollte ungefähr 15 Mal höher sein als der Wert von Cortisol.
Lang anhaltender Stress schwächt unseren Körper und macht ihn krank. Eine zunehmende Immunschwäche steht oft in direktem Zusammenhang mit einem niedrigen DHEA-Spiegel. Eine weitere Wechselwirkung besteht zwischen Insulin und DHEA. Bei den meisten Menschen steigt mit den Jahren der Insulinspiegel stark an, was zu einem Abbau von DHEA führt. DHEA wirkt sich wiederum positiv auf den Insulin- und Blutzuckerspiegel aus.
… zu wenig
Ein zu niedriger DHEA-Spiegel kann sich in folgenden Symptomen zeigen:
Einschränkung der Leistungsfähigkeit
Antriebslosigkeit
Gefühl von Unsicherheit und Angst
traurige Stimmung
schnelle Ermüdung
Rückgang der Fettverbrennung
Fettansammlung am Bauch
spröde, trockene Haare
dünne und trockene Haut
trockene, trübe, glanzlose Augen
spärliche Körperbehaarung
fehlende sexuelle Lust
flacher Venushügel
Cellulite an den Oberschenkeln
labiles Immunsystem
Osteoporose
Ab dem 25. Lebensjahr nimmt die DHEA-Produktion bei beiden Geschlechtern kontinuierlich ab. Ab Mitte 40 weisen die meisten Menschen nur noch die Hälfte ihres optimalen DHEA-Wertes auf. DHEA ist neben Testosteron und HGH das Anti-Aging-Hormon und hat auf vielen Ebenen einen positiven verjüngenden Effekt. Wie mittlerweile zahlreiche Studien belegen, kann DHEA den Prozess des Alterns verlangsamen.
Abb. 6: Rückgang der DHEA-Produktion im Alter
Ausreichender Schlaf und das sogenannte „Dinner Cancelling“ fördern die Bildung von DHEA. Auch regelmäßiger Sport hilft, die Hormonbildung anzukurbeln. Diese Maßnahmen, zusammen mit einer Ergänzung von fehlendem DHEA, sorgen für ein langsameres Altern. In den USA ist DHEA als Jugendlichkeitshormon hoch angesehen und Millionen von Menschen nehmen dieses Hormon ein – da es ein vom Körper natürlich gebildeter Stoff ist, ist es in den USA frei verkäuflich. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist DHEA hingegen verschreibungspflichtig und nur in Apotheken erhältlich. Trotz der vielen positiven Eigenschaften empfehle ich Ihnen, DHEA nur dann zu ergänzen, wenn ein wirklicher Mangel vorliegt – und auch dann nur nach Absprache mit Ihrem Arzt oder Therapeuten.
Progesteron – das Wohlfühlhormon
Progesteron oder auch Gelbkörperhormon genannt, ist ein Hormon, das ebenfalls eine Schlüsselrolle im Hormongeschehen einnimmt. Bei Frauen sorgt es während einer Schwangerschaft für das Wohlbefinden von Mutter und Kind. Aber auch für Männer ist es wichtig: Als Vorläuferhormon ist Progesteron für die Bildung von Cortisol, Testosteron und Östrogen unverzichtbar. Wie bei vielen anderen Hormonen auch wird die Wirkung von Progesteron immer noch unterschätzt.
Progesteron hat einen ausgeprägt positiven Einfluss auf unser Gehirn. Es wirkt antidepressiv, schützt die Nervenstränge, ist gut für das Gedächtnis, die Konzentration und das Erinnerungsvermögen. Es beruhigt und sorgt für einen guten Schlaf. Zudem ist es wichtig für die Stabilität der Knochen, verlängert die Lebensdauer der Hautzellen, fördert die Kollagenbildung, ist gut gegen Faltenbildung, mobilisiert Energie aus Fett und fördert die Wasserausscheidung. Auf die Schilddrüse hat Progesteron eine unterstützende Wirkung. Durch ausreichend Progesteron verbessert sich der Fett- und Zuckerstoffwechsel und bietet dadurch einen Schutz vor Altersdiabetes.
Als Gegenspieler des Testosterons ist Progesteron bei Männern für die Gesunderhaltung der Prostata wichtig und bremst deren Wachstum. Bei Frauen ist es für das Zustandekommen und den Erhalt einer Schwangerschaft unerlässlich, da es die Gebärmutter auf den Empfang des Embryos vorbereitet.
Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr lässt die Bildung von Progesteron als eines der ersten Hormone nach. Dadurch kommt es bei vielen Frauen zu einem Ungleichgewicht zwischen Progesteron und Östradiol (einem Östrogen): Eine sogenannte Östrogendominanz ist die Folge. Progesteron ist der wichtigste Gegenspieler des Östradiols. Es hat einen regulierenden Einfluss auf Östradiol und wird benötigt, um dieses Östrogen „in Schach zu halten“ bzw. auszubalancieren.
Abb. 7: Progesteron und Östradiol beeinflussen sich gegenseitig
Andererseits unterstützen sich diese beiden Hormone auch gegenseitig. Für die Interpretation von Progesteron ist deshalb nicht nur der absolute Progesteron-Wert entscheidend, sondern auch das Verhältnis (der Quotient) zu Östradiol. Da die Wirkung von Östradiol sehr stark ist, muss es immer durch genügend Progesteron ausbalanciert werden.
Der amerikanische Mediziner Dr. Philip Lee Miller schreibt in seinem Buch „Life Extension Revolution“ über seine Erfahrungen Folgendes: „Jedoch ist die Beziehung zwischen Progesteron und Östrogen von höherer Wichtigkeit und aussagekräftiger als die einzelnen Ebenen der beiden Hormone. Bei meinen Patientinnen möchte ich zwischen zehn- und zwanzigmal so viel Progesteron wie Östrogen sehen (gemessen übers Blut).“
Über den Speichel gemessen, würde das ein Verhältnis von 1:100 bis 1:200 bedeuten.
Dr. Michael Galitzer, ein bekannter amerikanischer Anti-Aging-Arzt, spricht in Interviews mit der amerikanischen Autorin Suzanne Somers von folgenden Anteilen: Das Verhältnis von Östradiol zu Progesteron im Blut sollte idealerweise 5 bis 10 Mal höher sein, im Speichel sollte der Progesteronwert 50 bis 100 Mal höher sein als Östradiol.
Ein niedrigeres Verhältnis führt laut Dr. Galitzer zu einer Östrogendominanz.
Dr. John R. Lee, einer der Pioniere der natürlichen Hormontherapie, der wohl als einer der Ersten vor etwa 50 Jahren schon die große Bedeutung des Progesteron entdeckt hat, spricht sogar von einem Verhältnis von 1:300 im Speicheltest.
Ich schließe mich der Meinung von Dr. Miller an. In der Praxis hat sich ein Verhältnis von 1:100 bzw. 1:200 im Speichel herauskristallisiert. Ein Beispiel: Wenn Sie einen Östradiolwert von 3 pg/ml haben, sollte Ihr Progesteronwert mindestens bei 300 pg/ml liegen.
… zu wenig
Folgende Symptome können auf einen alterungsbedingten Progesteronmangel hindeuten
Gesicht und Körper sind aufgeschwemmt
der Körper hält Wasser zurück
bei Frauen: geschwollene, schmerzhafte Brüste
angespanntes, nervöses Gesicht
plötzliche Aggressionen
Depressionen
Vergesslichkeit
Konzentrationsstörungen
Leistungsabfall
Energiemangel
nachlassende Libido
Gewichtszunahme
aufgetriebener Bauch mit Fettansammlung
Abb. 8: Gesundes Verhältnis von Östradiol zu Progesteron im Speichel
… zu wenig
Dann kann es zu folgenden Beschwerden kommen:
Herzrhythmusstörungen, Herzklopfen
Schilddrüsenprobleme
starke Kopfschmerzen, besonders vor der Periode
Migräne Zysten in Brust und Eierstöcken
Myome
PMS (Prämenstruelles Syndrom) eine zu starke Periode
Rückenschmerzen
Blutdruckschwankungen
Osteoporose
Bei Frauen können Gründe für einen zu niedrigen Progesteronwert mit Störungen beim Eisprung, wie z.B. Zyklen ohne Eisprung, in Zusammenhang stehen. Wenn kein Eisprung stattfindet, kann auch kein Gelbkörper gebildet werden. Weitere mögliche Gründe sind eine Schwäche des Gelbkörpers oder eine Unterentwicklung der Eierstöcke.
Ein dauerhaft zu niedriger Progesteronspiegel kann die Symptome einer Östrogendominanz nicht mehr regulieren.
Bei Männern kann es altersbedingt oder als Folge einer Unterentwicklung der Hoden zu einem niedrigeren Progesteronspiegel kommen und damit zu folgenden Symptomen:
Probleme mit der Prostata
Abnahme der Fruchtbarkeit
Konzentrations- und Herzrhythmusstörungen
fehlende psychische Ausgeglichenheit
Östrogene – nur nicht zu viel!
Der Name Östrogene bezeichnet eine Gruppe von Hormonen. Dazu gehören Östron, Östradiol und Östriol. Östradiol gilt als das wichtigste Hormon in dieser Gruppe.
Abb. 9: Gruppe der Östrogene
Östron
(im Englischen auch als Estron oder als E1 bezeichnet) wird in den Eierstöcken, in der Nebennierenrinde und im Fettgewebe gebildet, wo es auch gespeichert wird. Aus ihm werden die beiden anderen Östrogene Östradiol und Östriol gebildet. Östron gewinnt nach der Menopause an Bedeutung, da die Eierstöcke dann nur noch wenig Östradiol produzieren. Es stammt dann vor allem aus der Umwandlung des Androstendions der Nebenniere und wird bei stark übergewichtigen Frauen vermehrt auch im Fettgewebe gebildet.
Östradiol
… zu wenig
Zwischen dem 42. und 55. Lebensjahr kommen die meisten Frauen in die Wechseljahre. Dies führt zu erheblichen hormonellen Veränderungen. Der Monatszyklus kann sehr unregelmäßig verlaufen. Bei sehr schlanken und zierlichen Frauen kommt ein Östradiolmangel häufiger vor. Der schnelle Abfall des Östrogens nach der Menopause ist beispielsweise ein Hauptgrund für einen raschen Knochenmasseabbau.
In dem Buch „Natürliche Hormontherapie“ wird detailliert auf mögliche Symptome und die Behandlung typischer Wechseljahrbeschwerden eingegangen.
(im Englischen auch als Estradiol oder als E2 bezeichnet) ist der Hauptvertreter der Östrogene und das weibliche Fruchtbarkeitshormon. Es fördert den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut zur Aufnahme der befruchteten Eizelle. Die ersten 10 bis 14 Tage im Zyklus einer Frau stehen unter dem Einfluss von Östradiol. Am 14. Tag, am Tag des Eisprungs, erreicht das Östradiol seine höchste Konzentration. In der zweiten Hälfte des Zyklus dominiert hingegen das Progesteron.
Östradiol fördert die gute Laune und den Enthusiasmus. Es weckt das sexuelle Verlangen und sorgt für eine gut befeuchtete Vaginalschleimhaut.
Abb. 10: Abnahme des Östrogenspiegels bei Frauen
Durch ausreichend Östradiol hat die Haut die Fähigkeit, Fett und Wasser zu speichern, was für eine glatte Haut und schöne Haare sorgt. Zusätzlich fördert es die Kollagenbildung. Östradiol steuert die Körpertemperatur und hilft beim Durchschlafen. Es schützt das Herz-Kreislauf-System, indem es die Gefäße elastisch hält, und beugt Osteoporose vor.
Auch bei Männern liegt eine mögliche Ursache für einen Östradiolmangel im Älterwerden begründet.
Typische Symptome eines Östradiolmangels sind:
Hitzewallungen
nächtliche Schweißausbrüche
Stimmungsschwankungen
trockene, dünne, schlaffe Haut
feine Falten um den Mund und um die Augen
Haarausfall, dünne Haare, Haarausfall am Scheitel
Keine Lust mehr auf Sex, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
Im weiteren Verlauf kann es zu Herz-Kreislaufbeschwerden, Depression, Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit und Osteoporose kommen.
… zu viel
Erhöhte Östradiolwerte bei Frauen können während einer Behandlung mit östrogenhaltigen Medikamenten wie Pille, Hormonspirale oder HET (Hormonersatztherapie) auftreten. Hohe Östradiolwerte werden auch nach dem Eisprung und während einer Schwangerschaft gemessen.
Für beide Geschlechter gilt:
Eine Östrogendominanz zusammen mit einem Mangel an männlichen Hormonen, dazu noch eine Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) sind häufige Ursache für eine Gewichtszunahme in der zweiten Lebenshälfte. Zu viel Östrogen erleichtert die Einlagerung von Fett ins Gewebe, wobei der Fettanteil bei Frauen und Männern grundsätzlich unterschiedlich ist. Der gesunde Fettanteil bei Frauen im mittleren Alter (45 Jahre) sollte zwischen 25% und 30% ihres Körpergewichts liegen, bei Männern zwischen 20% und 25%. Hier gilt: Je schwerer ein Mann ist, desto mehr Östrogene produziert er aus dem Fettgewebe.
Östrogendominanz =
Östradioldominanz
Der Mythos vom Östrogenmangel hält sich hartnäckig und immer noch sind die meisten Wissenschaftler davon überzeugt, dass die Beschwerden der Wechseljahre durch zu wenig Östrogen/ Östradiol entstehen. An dieser Stelle möchte ich einen wichtigen Hinweis geben: Bei einer Östrogendominanz sprechen wir in der Regel von einer Dominanz des Östradiols. Wenn wir von Östrogenen sprechen, sollte man also immer differenzieren, von welchem Östrogen die Rede ist.
… zu viel
An welchen Symptomen erkennen Sie ein Zuviel an Östrogenen?
Müdigkeit
Wasseransammlungen im Körper und das Gefühl, aufgedunsen zu sein
Gewichtszunahme, besonders am Bauch und im Hüftbereich
Fettpolster, die nicht mehr weichen wollen
eine Verminderung der Fettverbrennung
Kopfschmerzen
Gedächtnisverlust
Libidoverlust
Reizbarkeit
Depression
Viele Frauen haben, bedingt durch Faktoren wie Übergewicht, Pille, Hormonspirale, Stress, Rauchen, falsche Ernährung, Östrogene im Fleisch, Hormone im Trinkwasser und petrochemische Produkte einen Östradiolüberschuss. Östrogene reichern sich durch schädliche Umwelteinflüsse aber nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern an. Wussten Sie, dass parfümierte Kosmetika oder regelmäßiger Bierkonsum zu einer Östrogendominanz beitragen können? Östradiol, das zweite Hormon der Östrogene, wird problematisch, wenn es nicht durch seinen Gegenspieler Progesteron ausgeglichen wird.
Bei Männern kann es zu Verweiblichung kommen, mit unliebsamen Fettansammlungen rund um Bauch und Brust (und der Entwicklung einer „weiblichen Brust“). Auch Erektionsprobleme, Zeugungsunfähigkeit und Prostatavergrößerung können durch eine Östrogendominanz entstehen.
Handbuch Anti-Aging
Handbuch Anti-Aging und Prävention
Was genau passiert in unserem Körper beim Alterungsprozess und mit welchen Maßnahmen können wir dem Altern entgegenwirken, Alterskrankheiten verhindern und möglichst lange fit und gesund bleiben? – Das Buch beleuchtet sämtliche Facetten des hochaktuellen Themas. Die Autoren haben mit der Auswertung von mehr als 5000 wissenschaftlichen Studien Pionierarbeit geleistet. Das Ergebnis: ein für jeden interessantes, einzigartiges interdisziplinäres Handbuch über den neuesten Stand der Alternsforschung – mit umfassenden konkreten Empfehlungen. Wir erfahren, was wir selbst tun können, und wie wir uns aus diesem reichhaltigen Informationsfundus unser individuell maßgeschneidertes Anti-Aging-Programm zusammenzustellen können.
Leicht verständlich wird erklärt, was jeder für sich selbst tun kann:
- welche Nahrungsmittel am besten für körperliche und geistige Gesundheit sorgen;
- welche Vitamine, Antioxidantien, Aminosäuren und Hormone die „Altersuhr“ verlangsamen;
- wie wir Lernfähigkeit, Gedächtnis und Konzentration verbessern;
- was das Risiko von Herz-Kreislauf-Krankheiten und Krebs reduziert;
- wie der Nachtschlaf sowie die Leistungsfähigkeit am Tag zu optimieren sind;
- wie Fettzunahme und ungünstige Figurveränderungen im Altersverlauf verhindert werden können;
- was die schädlichen Folgen von Rauchen, Alkohol oder Süßigkeiten verringert;
- was Depressionen vermeiden hilft;
- wie Sport und Bewegung optimal einzusetzen sind.
Diesem bereits in der Erstausgabe mit dem „Health Media Award“ ausgezeichneten Buch gelingt es hervorragend, die wissenschaftlichen Erkenntnisse anschaulich und unterhaltsam zu vermitteln. Ein unentbehrliches Handbuch für jeden ab 35 – und profundes Grundwissen für Ärzte, Heilpraktiker und Gesundheitsberater.
„Woran ist sie gestorben?“ – Antwort mit einem fatalistischen Achselzucken: „Das Alter. Ihre Uhr war abgelaufen.“ Keine weiteren Fragen.
Seit Menschengedenken nehmen wir den Verlauf des Alterns als unausweichliche Gesetzmäßigkeit hin. Bei Krankheiten ist das anders: „Welcher Art war die Erkrankung? Gab es denn keine Heilungsmöglichkeit? Wann wird der medizinische Fortschritt die Heilung ermöglichen?“ Wir haben das Gefühl, alle als krankhaft eingestuften Körperprozesse müssten kontrollierbar sein – wenn nicht heute, so doch fraglos in der Zukunft. Der Verlauf der Alterung dagegen entzieht sich menschlicher Kontrolle. Keine weiteren Fragen.
Dabei zeigen Umfragen ein klares Bild: Die größte Sorge der Menschen nach der Lebensmitte ist das Altern. Nicht Arbeitslosigkeit oder Armut, nicht der Anstieg der Gewaltverbrechen, ja, nicht einmal die Vorstellung schlimmer und verstümmelnder Unfälle macht den Menschen am meisten Angst, sondern das Altern: Seh- und Hörverlust, Knochenabbau, Impotenz, Muskelschwäche, nachlassende Vitalität, Gedächtnisprobleme, schließlich Unselbstständigkeit und Bettlägerigkeit. Das und vieles mehr sind unmissverständliche Zeichen der Alterung. Unmissverständliche? Sicher. Aber wirklich unausweichliche?
Wenn einmal die Geschichte des 21. Jahrhunderts niedergeschrieben wird, was wird man wohl als die bedeutsamste Errungenschaft ansehen? Eine zunehmende Zahl von Wissenschaftlern legt sich mit einer Prognose schon heute fest: Aging-Intervention, die Möglichkeit, das Altern unmittelbar zu beeinflussen. Die Anfänge sind bereits Realität und auch das Ziel ist anvisiert: Innerhalb der nächsten 70 bis 120 Jahre – so die derzeitigen Schätzungen von Biogerontologen – wird der Forschungsprozess so weit fortgeschritten sein, dass degeneratives Altern nicht nur verlangsamt, sondern zu jedem Zeitpunkt im Leben gestoppt werden kann. Im Laufe dieses Jahrhunderts Geborene haben also vielleicht bereits die Chance, bis ins höchste „Alter“ keiner gebrechlichen Alterung mehr ausgeliefert zu sein.
Doch von Zukunftsszenarien, so vielversprechend sie sein mögen, handelt dieses Buch nur am Rande. Unsere Zielsetzung war eine andere: Hic Rhodos, hic salta! – wie die Lateiner sagen. Oder etwas salopper: Butter bei die Fische! Welche Ergebnisse der Alternsforschung sind heute bereits konkret umsetzbar? Nicht theoretisch und nicht in einigen Jahren, sondern hier und jetzt. Und nicht für einige wenige Menschen, sondern für jeden, der seine Gesundheit und Leistungsfähigkeit auf jugendlichem Niveau halten möchte. Prävention, die diesen Namen auch verdient! Verschonen werden wir Sie in diesem Buch mit blumigen Darstellungen angeblich neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse, die dann jedoch unweigerlich in die immer gleichen „Expertenratschläge“ münden, wie etwa: „Treiben Sie Sport, rauchen Sie nicht und ernähren Sie sich ausgewogen …“ – alles andere sei ja „allenfalls Zukunftsmusik“.
In Wirklichkeit hat diese Zukunft längst begonnen. Weltweit werden immer mehr Kliniken und Einrichtungen gegründet, die sich konkret mit der Vermeidung oder Verlangsamung von Alterungsprozessen befassen und ihre „Patienten“ entsprechend beraten und behandeln. Anti-Aging, von unserem ausschließlich auf die Krankheitsbehandlung ausgelegten Medizinsystem noch vor Jahren als unseriös abqualifiziert, gewinnt zunehmend an Bedeutung für die Gesundheitsvorsorge. Gerontologen, Ärzte, Biologen und andere Fachgruppen haben sich inzwischen zu nationalen und internationalen Anti-Aging-Gesellschaften zusammengeschlossen und tauschen auf wissenschaftlichen Kongressen ihre Ergebnisse aus.
Das Problem für interessierte Laien, aber auch für viele Fachleute, die keinen ständigen Zugang zu wissenschaftlichen Daten haben, ist nach wie vor das unbefriedigende Angebot an umfassender und fundierter (deutschsprachiger) Information. Um dem Leser beides bieten zu können, haben wir über den Zeitraum von vier Jahren aus einer Gesamtzahl von etwa 5000 relevanten wissenschaftlichen Veröffentlichungen die Daten der wichtigsten 1100 internationalen Arbeiten in dieses Buch eingearbeitet. Ganz bewusst wurden fast ausschließlich direkt aus den Forschungseinrichtungen stammende Originalbeiträge berücksichtigt. Die unglaubliche Fülle von Fakten und Wissenschaftsdaten so aufzubereiten, dass sie auch für Laien nachvollziehbar und mit hohem Nutzwert verbunden sind, war für uns eine der größten Herausforderungen.
Die Kapitel spannen einen Bogen, der sich erstmals in diesem Publikationsbereich von einer tiefen und aufschlussreichen Erörterung des Wesens biologischer Alterung über die „Altersuhren“ des Menschen bis hin zu konkreten Nutzanwendungen erstreckt. Dennoch ist dieses Buch kein klassischer Ratgeber. Gesundheitsratschläge mit erhobenem Zeigefinger werden Sie ebenso wenig finden wie einfache „Ewig-jung-Rezepte“. Wir sagen Ihnen nicht, was Sie tun oder lassen sollen, sondern möchten Wissen über die Zusammenhänge von Altern und Jung- beziehungsweise Gesundbleiben vermitteln und Ihnen dabei so viel konkretes Praxiswissen an die Hand geben, dass Sie sich – möglichst mit fachlicher und diagnostischer Begleitung und Unterstützung – Ihr ganz persönliches Anti-Aging-Programm zusammenstellen können.
Wer übrigens glaubt, beim Thema „Alternsintervention“ gehe es ausschließlich um den Traum von ewiger Jugend, der irrt. Die Medizin der westlichen Industrieländer hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so stark auf die Behandlung bereits eingetretener Krankheiten fokussiert und unser Gesundheitssystem war so sehr damit beschäftigt, die Behandlung degenerativer Erscheinungen unter Aufwendung immer größerer Ressourcen zu erweitern, dass versäumt wurde, die mittlerweile verfügbaren Möglichkeiten echter Primärprävention zu nutzen. (Leser, die sich von der in der Tat dramatischen Dimension dieser Problematik ein Bild machen möchten, sollten vorab schon einmal den Teil III lesen: „Die Zukunft des Alterns – Sozialsystem am Abgrund?“)
Primärprävention, Alternsintervention oder Anti-Aging – unabhängig von allen Diskussionen um die am besten geeignete Bezeichnung gehört dieser neue Wissenschaftsbereich zweifellos zu den aufregendsten und spannendsten Themen unserer Zeit. Entsprechend handelt unser Buch von konkreten praktischen Möglichkeiten, Altern zu verhindern. Und es handelt von begeisterten Wissenschaftlern, deren Arbeit und Enthusiasmus uns inspiriert haben, die faszinierenden Erkenntnisse der Alternswissenschaft in verständliche und praxisbezogene Informationen zu übersetzen. Einer von ihnen ist der Evolutionsbiologe Michael Rose, Professor an der Universität von Kalifornien in Irvine. Er ist überzeugt: „Das 20. Jahrhundert wird als die letzte Epoche in die Geschichte eingehen, in der die Menschen ihrem degenerativen Alternszerfall hilflos ausgesetzt waren.“
Doch nicht nur die extrem zunehmende Menge wissenschaftlicher Erkenntnisse wird einen revolutionären Dammbruch bringen, sondern vor allem die endgültige Überwindung eines tief verwurzelten medizinischen Dogmas: der Vorstellung, dass allenfalls Krankheiten beeinflussbar seien, nicht aber das Altern selbst. Als Michael Rose vor fast 30 Jahren seine Forschungsarbeit zur Alterung von Fruchtfliegen begann, glaubte auch er an die medizinische Lehrmeinung, praktische Alternsintervention sei nur etwas für Quacksalber oder bestenfalls für hoffnungslose Optimisten. Und noch heute erinnert er sich genau an den Moment, der für ihn dieses Dogma hinwegfegte: „Ich saß an diesem wunderschön sonnigen Tag auf meinem Labortisch und sah die neuesten Ergebnisse durch. Und dann warfen mich die Zahlen auf dem Papier buchstäblich um. Geradezu taumelnd lief ich zu meinem Vorgesetzten und rief: Das müssen Sie sich ansehen!“ Die Resultate bestätigten: Der als festgelegt eingestufte Ablauf biologischer Alterung lässt sich gezielt beeinflussen! „Es war ein Hochgefühl, wie man es im Leben allenfalls noch an seinem Hochzeitstag haben kann.“
Nach wie vor arbeitet der Professor inmitten seiner Labore. Hier leben seine Träume und sie sind zu weiten Teilen bereits Wirklichkeit geworden. Doch ein großes Ziel hat er noch; er teilt es mit vielen Kollegen aus vergleichbaren Forschungseinrichtungen: dazu beizutragen, dass von den Erkenntnissen der Alternswissenschaft endlich auch die Menschen profitieren und dass sie den Verlauf ihrer Alterung bestimmen können, wenn sie das wollen – sei es, um Gebrechlichkeit und Alterskrankheiten zu verhindern, oder auch „nur“, um sich Vitalität, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude bis ins hohe Alter zu bewahren.
Die Zeit ist reif dafür, degenerativen Abbau und Alterskrankheiten nicht wie bisher erst dann zu behandeln, wenn sie bereits eingetreten sind, sondern negative Alterungsprozesse von vornherein zu vermeiden oder möglichst weit in den Bereich des maximalen Höchstalters zu schieben (beim Menschen etwa 120 Jahre). Grundlagenforschungen wie auch Erfahrungen bei Hochbetagten zeigen, dass dadurch der Anteil von Gebrechlichkeit, Krankheit und Siechtum an der Lebensspanne entscheidend reduziert werden kann. Es ist an der Zeit, das zur Verfügung stehende Wissen umzusetzen, ohne die Risiken oder den Grundsatz der Wissenschaftlichkeit aus den Augen zu verlieren.
Mit jedem Jahr, das wir Menschen älter werden, wird uns bewusster, dass wir letztlich das Resultat aller Entscheidungen sind, die wir im Leben getroffen haben. Den Verlauf der eigenen Alterung auf der Basis wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse selbst mitzubestimmen, das könnte zu den wichtigsten Entscheidungen unseres Lebens zählen.
Rüdiger Schmitt-Homm
Simone Homm
„Komm mit uns, etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden.“ GEBRÜDER GRIMM [in: Die Bremer Stadt-Musikanten]
Handbuch Anti-Aging und Prävention
Die wichtigsten Forschungsergebnisse Die sinnvollsten Gesundheitsstrategien Die wirksamsten Praxistipps
I. Warum Altern kein festgelegtes Schicksal ist – Die Entschlüsselung eines Phänomens
I. 1 Die ewige Suche nach dem Jungbrunnen
„Als die Götter den Menschen schufen, teilten sie ihm den Tod zu. Ewiges Leben behielten sie sich selbst vor.“ Aus dem GILGAMESCH-EPOS [Sage der Sumerer und Akkader, 3000–2000 v. Chr.] Ein Privileg der Götter Zu allen Zeiten sehnten sich die Menschen nach ewiger Jugend. Betrachten wir die Geschichte, so finden wir Zeugnisse dieser Sehnsucht in fast allen Kulturen. Niemanden wird das verwundern. Bei genauerem Hinschauen stößt man aber auf einen interessanten Aspekt, der sich durch die verschiedensten Kulturkreise und Religionen zieht. Es gibt Unsterblichkeit – doch sie ist fast immer ein Privileg von Göttern. Alterung und Tod sind dagegen so eng mit dem Schicksal der „normalen“ Menschen verbunden, dass der Wunsch nach ewiger Jugend meist nicht nur als unerreichbar, sondern geradezu als frevelhaft und gotteslästerlich galt. Und teilweise hat sich daran bis heute nichts geändert. So soll der sagenhafte König Gilgamesch, der etwa 2600 v. Chr. in Mesopotamien lebte, zeitlebens auf der Suche nach dem Unsterblichkeitselixier gewesen sein. Er meinte, das auch beanspruchen zu können, schließlich galt er als Nachfahre der Götter. Allerdings war er der Überlieferung nach nur zu einem Drittel göttlich – für die damals herrschenden Götter offenbar zu wenig. Sie ließen ihm die Unsterblichkeit nur durch den ewigen Ruhm seiner Bauwerke zuteilwerden – noch heute ein beliebter Ersatz für echte Unsterblichkeit. „Geschichte ist der Beginn einer jahrhundertelangen systematischen Arbeit, die dazu bestimmt ist, das Geheimnis des Todes aufzuklären und endlich den Tod selber zu überwinden. Aus keinem anderen Grund komponieren Menschen Symphonien, entdecken sie die mathematische Unendlichkeit und die elektromagnetischen Wellen. Um in diese Richtung vorzudringen, braucht man einen gewissen Aufschwung der Seele.” BORIS PASTERNAK [russischer Literaturnobelpreisträger, 1890–1960] „Some people try to achieve immortality through their offspring or their works. I prefer to achieve immortality by not dying.” WOODY ALLEN [amerikanischer Autor und Regisseur, *1935] Auch Tantalos, nach der griechischen Mythologie als Sohn des Zeus immerhin ein Halbgott, durfte zwar an der göttlichen Tafel speisen. Als er aber das unsterblich machende Ambrosia vom Tisch mitgehen und normalen Sterblichen zukommen ließ, verdonnerten ihn die Götter zu einer eher unangenehmen Form ewigen Lebens: Er musste für alle Zeiten bis zum Kinn im Wasser stehen, ohne jemals trinken zu können. Über ihm hingen die schönsten Leckereien – trotz nagenden Hungers konnte er aber nichts davon essen.Der Baum des Lebens
Die christliche Lehre macht keine Ausnahme bei dieser etwas einseitigen Verteilung der ewigen Jugend. In der Bibel bestraft Gott den Menschen, weil dieser vom Baum der Erkenntnis gegessen hat: „Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.“ (1. Buch Mose 2,3) Adam und Eva hatten schon vom Baum der Erkenntnis genascht. Um zu verhindern, dass sie sich am Baum des (ewigen) Lebens vergriffen, mussten sie gehen. Der Lebensbaum aber erhielt fortan eine drohende Wache, auf dass ja kein Mensch seine Sterblichkeit überwinde.Unsere egozentrische Sicht auf die Welt
Warum diese Reservierung der Unsterblichkeit nur für übersinnliche Wesen und warum die geradezu gesetzmäßige Zuordnung von Alterung und Tod für den Menschen? Im Wesentlichen dürfte es zwei Gründe geben:- Aus psychologischer Sicht ist es für den menschlichen Geist über alle Kulturen hinweg hilfreich und tröstlich, die eigene Vergänglichkeit mit Sinn zu füllen. Über die tiefere Bedeutung von Altern und Tod wurden in der Menschheitsgeschichte unzählige Abhandlungen verfasst, sowohl religiöse als auch philosophische. Beide Ansätze bieten ohne Zweifel nachdenkenswerte Antworten und wir möchten mit diesem Buch keine davon infrage stellen. Was wir aber in der Tat infrage stellen, ist die Unausweichlichkeit degenerativer Alterung, die dem Tod vorausgeht. Der tiefere Sinn faltiger Haut, schwindender Kraft oder zerbrechlicher Knochen erschloss sich uns bis jetzt jedenfalls nicht.
- Ein weiterer Grund für die Einstufung der Alterung als unumstößliches Gesetz entspringt der tief verwurzelten Eigenart des Menschen, eine egozentrische Sicht auf die Welt zu haben. Wir neigen dazu, Abläufe, die aus unserer subjektiven Sicht selbstverständlich erscheinen, auch ganz generell als gesetzmäßig und unausweichlich anzusehen.
Viele machten sich auf die Suche
Natürlich hielten sich im Laufe der Geschichte nicht alle an die religiösen und gesellschaftlichen Denkmuster. Und das war auch gut so. Denn trotz der aus heutiger Sicht naiven Vorgehensweise kann nur der ein Mittel gegen das Altern finden, der sich überhaupt auf den Weg macht. Damals wie heute. Der katholische König Ferdinand von Spanien war solch ein Mensch. Anfang des 16. Jahrhunderts hörte er von einem sagenhaften Jungbrunnen in der Karibik. Sogleich wies er seinen dortigen Gouverneur Ponce de Leon an, danach zu suchen. Die spanischen Eroberer hatten in Mittelamerika begonnen, die Azteken zu unterjochen und auszurotten, um an Gold und nicht zuletzt an das Geheimnis eines Jugend spendenden Trankes zu kommen. Sie fanden beides. Der Zaubertrank der Azteken entpuppte sich als Kakaogetränk, das zwar erstaunliche Gesundheitswirkungen hatte (– sofern die Spanier es überhaupt trinken konnten, da das Rezept mit beißend scharfen Chilis zubereitet wurde), die Jugend aber brachte auch der Trank der Azteken nicht zurück. Doch so schnell gaben die Spanier nicht auf. Ponce de Leon hatte mithilfe besonderer „nachdrücklicher Befragungen“ gefangener Indios im Jahre 1511 von einem wirklichen Jungbrunnen weit im Norden erfahren. Kurzerhand beauftragte ihn sein König Ferdinand, statt dem Gold ab sofort dem Jungbrunnen nachzujagen. In der betreffenden Gegend in der nördlichen Karibik fand de Leon tatsächlich diesen Ort. Es war das beschriebene Land mit vielen Sümpfen und Wasserläufen. Die Spanier tranken aus einem Wasserlauf nach dem anderen – ohne durchschlagenden Erfolg. Die Reise war erfolglos. Fast. Was in diesem Augenblick keinen der Eroberer interessierte: Zum ersten Mal in der Geschichte betraten Bewohner der alten Welt Florida, das seine Entdeckung somit dem Traum von der Jugend verdankt – eine Sehnsucht, die sich die Amerikaner bis heute in besonderer Weise bewahrt haben. Nirgendwo gibt es heute mehr Anti-Aging-Kliniken als in diesem sonnigen Teil Amerikas. Und es ist schon eine etwas seltsame Ironie: Viele Suchende finden dort das, was Ponce de Leon vor fast 500 Jahren an dieser Stelle vergeblich suchte: einen – zumindest bis zu einem gewissen Grad – wirksamen Jungbrunnen.Vom Traum zur Realität
Heute, im 21. Jahrhundert, hat sich das Bild vom Jungbrunnen gewandelt. Wir wissen, wir brauchen nicht in fernen Ländern suchen und nicht an sagenhaften Orten. Wir wissen aber auch, dass Menschen nicht einfach in eine Quelle werden tauchen können, um verjüngt wieder aufzutauchen. Hinter jeder Tür, die die Alternswissenschaft aufstößt, befinden sich zwei neue. Altern ist so vielfältig wie das Leben und der Kampf gegen das Altern muss an vielen Fronten erfolgen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute lautet: Anders als Ponce de Leon sowie unzählige Generationen vor und nach ihm haben wir erstmals wirksame Waffen gegen das Altern. Die beste von allen ist Wissen. Wissen, wie das Altern funktioniert und wie es zu durchbrechen oder zumindest zu beeinflussen ist. Im nächsten Abschnitt wollen wir deshalb einen Blick hinter die Kulissen des Phänomens Altern werfen. Moderne Jungbrunnen sind manchmal kompliziert, immer aber vielfältig. Nur eines hat sich seit den Zeiten der Entdecker nicht geändert: Wir müssen uns auf den Weg machen! „Alle Menschen träumen, aber nicht gleich. Jene, die in der Nacht träumen, in den verschleierten Winkeln ihres Geistes, erwachen am Tag, um festzustellen, es war Einbildung. Die Träumer des Tages aber sind gefährliche Menschen; denn sie können mit offenen Augen nach ihren Träumen handeln, um sie wahr zu machen.”- E. LAWRENCE [amerikanischer Freiheitskämpfer und Schriftsteller, 1888–1935, in: The Seven Pillars of Wisdom]
I. 2 Phänomen Altern
Warum altern Menschen? „Wir dürfen nicht annehmen, dass alle Dinge unseretwegen geschaffen worden sind.” RENE DESCARTES [französischer Philosoph und Naturwissenschaftler, 1596–1650] Warum wir altern? Diese Frage mag Sie vielleicht überraschen. Alterung und Tod sind schließlich nicht nur für die Kirche untrennbar und wie selbstverständlich mit dem Leben verbunden. Ist Altern nicht ein unumstößliches Naturgesetz? Im Alltag stellt sich Alter als eine Funktion der Zeit dar: Ein Auto ist alt, weil es vielleicht schon zehn oder mehr Jahre „auf dem Buckel“ hat. Wer schon einmal eine Stubenfliege unter dem Mikroskop betrachtet hat, weiß, wie ramponiert alte Fliegen aussehen. Mit zunehmender Zeit werden Panzer und Flügel immer mehr abgenutzt. Schäden scheinen sich zwangsläufig anzuhäufen. Und so sehen wir das für uns selbst auch. Alterserscheinungen betrachten wir als normal. Bei einem Menschen, der 70 oder 80 Jahre gelebt hat, halten wir Alterserscheinungen für geradezu zwangsläufig. Das sei der Zahn der Zeit …, sagt man. Vielleicht muss man also die Zeit anhalten, um das Altern zu stoppen? Spätestens seit Einstein wissen wir, dass das sogar möglich ist. Und in einer langsam ablaufenden Zeit verzögert sich tatsächlich auch die Alterung. Aber das sind letztlich theoretische Überlegungen, solange wir uns nicht mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. (Davon sind die meisten Menschen heute weit entfernt – sie bewegen sich eher gar nicht …) Viel wichtiger ist: Gilt auch die umgekehrte Beziehung? Können wir das Altern nur aufhalten, wenn wir die Zeit anhalten? Sind Altern und Zeit unauflöslich verbunden? Nun, wenn die Zeit Schuld hätte am Altern, wären unsere Chancen gering, den Fortgang aufzuhalten – zumindest hier auf der Erde.Der Zahn der Zeit ist nicht immer scharf
Wären wir Menschen allein auf der Erde, würden wir ohne Zweifel glauben, Altern und Zeit seien eng verbunden. Doch bei der Vielfalt des Lebens ist sichtbar, dass unterschiedliche Tier- und Pflanzenarten unterschiedlich alt werden, also auch verschieden altern. Der Ablauf des Alterungsprozesses bei Lebewesen ist offensichtlich doch keine einfache Funktion der chronologischen Zeit. Denn manche Lebewesen altern sehr schnell, andere langsam. Eine Maus ist mit 2 Jahren schon im Greisenalter, ein zehnjähriger Hund zeigt bereits deutliche Alterserscheinungen. Von manchen Papageienarten ist bekannt, dass sie mehr als 100 Jahre alt werden, und für Schildkröten müssen Menschen gar als kurzlebige Spezies erscheinen: Die behäbigen Tiere können 150 und mehr Jahre leben.Ewiges Leben – (k)eine Utopie?
Der Alterungsprozess verläuft offensichtlich unterschiedlich schnell. Ist er auch unausweichlich? Oder anders gefragt: Muss jedes Lebewesen früher oder später alt werden und sterben? Im Vergleich zum Menschen können Bäume ein hohes Alter erreichen. Wird ein Baum 100 oder 200 Jahre alt, passt das noch in unsere Vorstellung einer zwar langsamen, aber immerhin doch fortschreitenden Alterung. Hoch oben in den White Mountains in Kalifornien aber gibt es Kiefern, die dieses Bild verwirren. Manche Exemplare existieren dort seit etwa 5000 Jahren. Das heißt, diese Bäume sind älter als unsere Zeitrechnung und älter als die Pyramiden in Ägypten. Und sie leben immer noch. Die Kiefern scheinen keine Alterung zu kennen. Die ältesten Lebewesen der Welt? Keineswegs. Unter der heißen Sonne Kaliforniens wächst Coviella Mexicana, ein Busch, der seine Jugend vor geschätzten 11 000 Jahren an dieser Stelle verbracht hat. Coviella scheint wirklich ewig zu leben.Jung bleiben durch Erneuerung
Wie ist es möglich, so lange Zeit unbeschadet zu überstehen? Selbst Berge werden nach Tausenden von Jahren allein schon durch die Witterung zerstört. Bestehen die extrem alten Pflanzen aus Materialien, die noch widerstandsfähiger sind als Stein? Nein, das Leben geht einen anderen Weg: Als man die Zellen eines 3000 Jahre alten Baumes der Gattung Sequoia im Labor genauer untersuchte, stellte man fest, dass keine lebende Zelle dieser sehr alten Bäume älter als 30 Jahre war. Unbrauchbare Zellen werden also immer wieder durch neue ersetzt. Uralte Pflanzen erneuern ihre Zellen unentwegt. Der Biologe Professor Robert Zwilling vom Zoologischen Institut der Universität Heidelberg weist in diesem Zusammenhang auf ein generelles Problem hin: Wie ist „Alter” bei Lebewesen überhaupt zu verstehen? Ist der Sequoia-Baum nun 3000 oder nur 30 Jahre alt? Eine wirklich interessante Frage. Spinnt man den Gedanken weiter, finden wir auch im Alltag vergleichbare Beispiele. Vielleicht kennen auch Sie jemanden, der stolz darauf hinweist, wie tadellos sein 12 Jahre altes Auto noch funktioniere. Dabei wird in der Regel unterschlagen, dass der Auspuff schon zwei Mal erneuert wurde und Kupplung, Radlager oder andere Teile ebenfalls neu sind. Wie alt ist nun das Auto? Eines steht jedenfalls fest: Bei stetiger Erneuerung ist ein sehr langes Leben möglich – bis hin zu ewigem Leben; wenigstens scheint das für Dinge wie Autos und vor allem für Bäume zu gelten. Wie aber steht es mit dem Menschen? Können wir uns ebenfalls verjüngen? Die Antwort ist: ja. Und wir tun das sogar unentwegt. Bis ins hohe Alter bilden sich auch beim Menschen Körperzellen neu. Leider funktioniert dieser Mechanismus ganz offensichtlich weniger effektiv als bei langlebigen Pflanzen. Müsste man also als Baum auf die Welt kommen, um sich ewig verjüngen zu können? Durchaus nicht. Komplette Zellregeneration gibt es nicht nur bei Pflanzen.Ersatzteile fürs Gehirn?
Sich in der Absicht, jung zu bleiben, allzu sehr auf den Fortschritt in der plastischen Chirurgie oder der Transplantationsmedizin zu verlassen, das ist nicht nur eine sehr vage Hoffnung. Es ist auch in höchstem Maße trügerisch und nur so weit sinnvoll (wenn überhaupt), wie es einem gelingt, den Alterungsprozess seines Gehirns zu verzögern. Es ist heute kaum mehr ein Problem, mit neuen Organen oder künstlichen Gliedmaßen zu leben. Selbst das Herz, noch vor 30 Jahren wegen des vermeintlichen Sitzes der Seele Gegenstand erbitterter Diskussionen, wird heute routinemäßig transplantiert. Doch selbst wenn die Transplantation von Gehirnen einmal möglich sein sollte, könnten Sie sich zwar das alte Gehirn, das vielleicht von Alzheimer befallen wäre, austauschen lassen – nur: Sie wären dann nicht mehr Sie selbst, sondern die Person, von der das Gehirn stammte, mit deren Bewusstsein. Wer also 100 oder 150 Jahre leben und gesund bleiben möchte, tut gut daran, darauf zu achten, dass gerade die Zellstrukturen des Gehirns mindestens ebenso lange leistungsfähig bleiben.Ewig junge Lebewesen
Bei einem kleinen Süßwasserpolyp namens Hydra entsteht für jede Zelle, die an seinem basalen Ende altert und zugrunde geht, am anderen Körperende eine neue Zelle. Eine feine Sache. Durch diese Frischzellenkur bleibt der Polyp ewig jung. Was Hydra uns Menschen voraus hat, ist ein spezieller Körperabschnitt, in dem unbegrenzt neue Zellen produziert werden. Wissenschaftler haben längst herausgefunden, wie dem kleinen Tier seine ewige Jugend zu nehmen ist. Durch einen perfiden Eingriff in die Erneuerungszone kann man die natürliche Verjüngung experimentell unterbinden. Der kleine Polyp ist dann genauso der Vergänglichkeit ausgesetzt wie wir. Er altert ganz „normal” und stirbt.Der Preis ewigen Lebens
Bevor wir nun allzu neidisch werden: Das Prinzip des ewigen Lebens durch eine einfache Form der Zellerneuerung hat auch Nachteile. Nehmen wir an, der kleine Süßwasserpolyp Hydra könnte über sich und sein Dasein nachdenken. Er wäre dennoch nicht imstande, sich an zurückliegende Monate zu erinnern. Denn zu dieser Zeit hat noch keine seiner gegenwärtig lebenden Zellen im Körper existiert! Auch alle Lernerfahrungen, sofern er solche machen könnte, gingen mit den sich immer wieder erneuernden Zellen größtenteils verloren. Die „Erfindung“ eines Zentralnervensystems und vor allem des Gehirns im Zuge der Evolution beruht deshalb auf dem wichtigen Phänomen, dass Nervenzellen sich nicht teilen beziehungsweise nicht immer wieder durch neue ersetzt werden – bis auf stark begrenzte Ausnahmen. Auch beim Menschen verursacht jede Lernerfahrung im Gehirn eine spezifische Spur. Unsere Erinnerungen sind nicht in einer bestimmten Nervenzelle, sondern in unendlich komplexen Vernetzungssystemen im Gehirn gespeichert und dynamischen Anpassungen unterworfen. Um Lern- und Gedächtniserfahrungen möglichst lange zu bewahren, ist das System der vollständigen Zellneubildung deshalb ungeeignet. Wichtiger ist es, die vorhandenen Zellen, ihre Querverbindungen und die chemischen Übertragungswege durch optimalen Schutz möglichst lange zu erhalten. Man könnte vielleicht sagen, der Preis für unsere Fähigkeit zu lernen, zu erinnern und uns in Zeit und Raum als Individuen zu definieren, ist der Verlust der Unsterblichkeit.Warum Fliegen nie an Krebs leiden
Die exakte Nachbildung von Körperzellen ist speziell für hoch entwickelte Lebewesen ein äußerst komplizierter Prozess. Jeder noch so winzige Fehler kann fatale Folgen haben. Ein klassisches Beispiel sind Fehler in der Zellsteuerung. Die Folge: Krebs. Unsere soeben angesprochenen ramponierten Stubenfliegen können Schäden an ihrer Außenhülle nicht mehr reparieren, weil sich ihre Zellen nicht teilen und somit nicht erneuern können. Das führt unweigerlich und sehr schnell zu immer größerer Anhäufung von Schäden. Aber weil sich eben keine Zellen teilen, bekommen Insekten niemals Krebs. Wir Menschen können wie andere Säuger viele Zellen erneuern. Dafür teilen wir mit ihnen das Schicksal, mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit an Krebs zu sterben, sobald der Vorgang der Zellteilung durch Umwelteinflüsse und vor allem Alterungsprozesse anfällig geworden ist.Alt werden, ohne zu altern
Wenn wir schon nicht unsterblich sein und ewig leben können – und vielleicht wäre das auch aus mancherlei Gründen gar nicht wünschenswert –, ließe sich dann nicht zumindest unser Alterungsprozess verzögern und die Jugendlichkeit länger erhalten? „Es gibt Millionen von Menschen, die sich nach Unsterblichkeit sehnen, die aber nicht wissen, was sie an einem verregneten Sonntagnachmittag anfangen sollen.” MAURICE CHEVALIER [französischer Entertainer, 1888–1972] Tatsächlich ist in der Natur das Phänomen der Seneszenz, also das, was man gemeinhin unter gebrechlichem und defizitärem Altern versteht, nicht überall vorzufinden. Das heißt, auch wenn sich bei einer Art aufgrund verschiedenster Faktoren ab einem bestimmten Alter die Sterbewahrscheinlichkeit erhöht, müssen sich damit nicht unbedingt in gleichem Maße Alterserscheinungen einstellen. Vögel sind im Vergleich zu anderen Tieren mit ähnlicher Körpermasse und ähnlichem Stoffwechselumsatz nicht nur auffallend langlebig, sondern auch ganz ungewöhnlich lange leistungsfähig. Auch Fledermäuse altern viel langsamer als die am Boden lebenden Mäuse, obwohl sie im Hinblick auf ihre Größe und ihren Stoffwechsel absolut vergleichbar sind. Weibchen des Eissturmvogels ziehen auch im Alter von 40 Jahren noch Junge auf und zeigen keinerlei Altersdefizite. Überträgt man die vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten der Alterung von Säugetieren oder aber von uns Menschen auf diese Tiere, müssten Eissturmvögel im Alter von 40 Jahren ihre Fortpflanzungsfähigkeit längst verloren haben und eine ganze Reihe von Degenerationserscheinungen aufweisen.Wenn die Alterung zu stoppen scheint
Andere Tierarten zeigen sogar ab einem gewissen Alter einen so starken Rückgang ihrer Sterbewahrscheinlichkeit, dass die Mortalität nicht mehr messbar ist. Mit anderen Worten, je älter diese Tiere werden, desto weniger sterblich scheinen sie zu sein. Hummer zum Beispiel wachsen mit zunehmendem Alter stetig weiter, ohne dass man je ein Absinken ihrer Fortpflanzungsfähigkeit, geschweige denn ihres Wachstums finden konnte. Caleb Finch, Professor für Gerontologie und Biowissenschaft an der Universität Kalifornien erforscht dieses Mysterium. Er fand heraus, dass es in der Natur viel verbreiteter ist, als bisher angenommen. Er bezeichnet das Phänomen als „vernachlässigbare Seneszenz“. Solche Erscheinungen, die unsere Vorstellungen über die Alterung gehörig durcheinanderbringen, sind nicht neu. Schon vor mehr als 100 Jahren hat der in Frankfurt am Main geborene Zoologe August Weismann festgestellt: „Es ist überhaupt nicht zu vergessen, dass dem Tode durchaus nicht immer eine Involutions-, eine Altersperiode vorangeht.“ Er war schon damals überzeugt, dass der Alterungsprozess keine Notwendigkeit des Lebens sei. „Altern ist eine späte Zugabe der Evolution.” AUGUST WEISMANN [deutscher Zoologe, 1834–1914]Bringt Altern Vorteile?
Wir gehören offensichtlich nicht zu einer der von der Natur so beneidenswert ausgestatteten Arten ohne Alterung. Beim Menschen und den meisten mit uns näher verwandten Säugetieren treten Alterserscheinungen unübersehbar auf. Unterschiedlich stark zwar, aber sie sind eher die Regel als die Ausnahme. Warum hat die Natur für uns Alterung vorgesehen, wenn es offensichtlich auch ohne sie geht? Bringt uns Seneszenz vielleicht irgendwelche Vorteile? Leider nicht. Die Ursache für unser gebrechliches Altern ist nach allem, was wir heute wissen, geradezu erschreckend banal. Es gibt unter den Evolutionsbiologen zum Phänomen der Seneszenz zwar leicht unterschiedliche Begründungsansätze, doch letztendlich lassen sie sich alle auf einen Kernsatz bringen: Die Evolution erfand die Alterung weniger, weil sie für die betroffenen Arten von Lebewesen notwendig oder gar nützlich wäre, sondern vor allem, weil sie ihnen nicht schadet. Eine ebenso überraschende wie ernüchternde Erkenntnis. Wie ist sie zu verstehen?Seneszenz – Alt werden beim Altwerden
Altern scheint für uns Menschen vor allem mit Verlust und Degeneration verbunden zu sein. Die Mehrzahl der heutigen Gerontologen würde bei einer solchen Sichtweise allerdings protestieren. Schon seit einiger Zeit bemühen sie sich, die alte verwurzelte Sichtweise vom Abbau als einzigem Aspekt des Alters zu korrigieren. Mit großer Vehemenz wird heute der „Defizithypothese der Alterung” widersprochen. Und die Kritiker haben nicht unrecht. Ohne Zweifel werden Aufbauprozesse, Chancen und andere positive Aspekte des Alters häufig vergessen oder missachtet. (Wer das Thema vertiefen möchte, dem sei das Buch Successful Aging von Rowe und Kahn empfohlen; siehe Literaturverzeichnis.) Innerhalb des Lebens auf der Erde ist Altersabbau beziehungsweise Seneszenz keine unausweichliche Begleiterscheinung des Alters. Wir haben das bereits angeschnitten. Andererseits aber ist nicht zu bestreiten, dass Abbau eine sehr typische Erscheinung dessen ist, was wir Menschen gemeinhin unter Alterung verstehen und erleben – zumindest aus biologischer Sicht.Das Geheimnis der Hundertjährigen
Als ein Argument gegen die Defizithypothese wird heute die erfreulicherweise zunehmende Zahl an gesunden, aktiven Hundertjährigen angeführt. Und tatsächlich können uns gerade die erfolgreich und relativ gesund gealterten Hundertjährigen etwas über den Alterungsprozess aufzeigen. Allerdings anders, als vielleicht erwartet. Beim Menschen reduzieren sich im Verlauf des chronologischen Alterns praktisch alle Körperfunktionen. Personen, die sehr alt werden, 100 Jahre oder noch älter, bilden in dieser Hinsicht eigentlich keine Ausnahme. Die meisten biologischen Marker verändern sich bei ihnen vergleichbar, bis auf eine Besonderheit: Es fehlen extreme Entwicklungen in einzelnen Funktionsbereichen. Bei ihnen sind einzelne „schwache Glieder“ im biologischen System, die frühzeitigen Diabetes, Parkinson und andere typische Altersleiden begünstigen können, seltener. Hundertjährige sind in erster Linie sehr gleichmäßig gealtert. Warum die Natur sich Altern leisten kann Antagonistische Pleiotropie oder: Dr. Jekyll und Mr. Hyde in unseren Genen Wer hinter das Wesen der Alterung blicken will, kommt um diesen etwas kompliziert klingenden Begriff nicht herum. Doch keine Sorge, so schwierig ist die Sache gar nicht. Als „pleiotrop“ werden Gene bezeichnet, die gleich mehrere Eigenschaften eines Organismus bestimmen. Im Hinblick auf die Evolution, also die Entwicklung einer Art, können diese Eigenschaften sogar entgegengesetzt sein. Das heißt, die eine Eigenschaft des Gens wirkt sich günstig aus, die andere ungünstig. Deshalb „antagonistische Pleiotropie“.Die zwei Gesichter von Fett
Häufig hat sogar ein und dieselbe Eigenschaft, die ein Gen steuert, gegensätzliche Konsequenzen. Ein Beispiel ist die Fettspeicherung beim Menschen. Die Veranlagung, viel Fett zu speichern, wirkt sich vor allem bei unregelmäßigem Nahrungsangebot günstig auf die Fortpflanzungsfähigkeit und damit auf die Überlebenschancen aus. Das gilt besonders für Frauen, da bei ihnen eine erfolgreiche Fortpflanzung unmittelbar von ausreichenden Energiespeichern abhängt. Je mehr Fettreserven, desto besser also die Überlebenschance der Nachkommen und damit der Art. Auf der anderen Seite führen verschiedene Stoffwechselprozesse rund um die Fettspeicherung zu einem erhöhten Risiko von Herz-Kreislauf-Krankheiten – was die Überlebenstauglichkeit im späteren Alter beeinträchtigt. Pleiotrope Gene sollten sich über Generationen hin also grundsätzlich nur dann durchsetzen, wenn für die betreffende Art unterm Strich der Gewinn höher ist als der Verlust. Der Vorteil muss größer sein als die Nachteile. Dieser Grundsatz gilt für alle Entwicklungen der Evolution und ist leicht nachvollziehbar. Doch es kommt noch etwas Entscheidendes hinzu: der Zeitfaktor.Der Zeitpunkt entscheidet
Negative Auswirkungen, die von einem ansonsten positiven Gen verursacht werden, verlieren für das Überleben und den Fortbestand einer Art erheblich an Gewicht, wenn sie erst spät im Leben zum Tragen kommen. Um bei unserem etwas vereinfachten Beispiel zu bleiben: Die Fähigkeit, besonders viel Fett zu produzieren und zu speichern, wirkt sich positiv auf die Zahl beziehungsweise die Überlebenschance der Nachkommen aus und sollte sich deshalb im Laufe der Evolution als genetischer Vorteil durchsetzen. Der dadurch entstehende Nachteil, im späteren Erwachsenenalter einem höheren Krankheits- und Sterberisiko ausgesetzt zu sein, mag für das betroffene Individuum bedauerlich sein. Für den Fortbestand der Art aber wirkt sich dieser Nachteil kaum aus, da die Nachkommen bereits gezeugt und aufgezogen sind.Die Fürsorge der Natur ist begrenzt
Unterstellen wir für einen Moment der Natur eine bestimmte Absicht (was natürlich nicht korrekt ist, da die Natur keine Intentionen verfolgt), so könnte man sagen: Die Natur kümmert sich um uns, solange es um den Fortbestand der Art geht – und das ist in erster Linie die Zeit von unserer Geburt bis zum mittleren Erwachsenenalter. Was danach mit dem einzelnen Individuum geschieht – Krankheit oder Tod –, ist für den Fortbestand der Art und damit auch für die Natur von höchst untergeordnetem Interesse. Ein ernüchternder Gedanke, dass wir in diesem Sinne auf die Fortpflanzungsfähigkeit reduziert und ab dem Erwachsenenalter gewissermaßen „vernachlässigt“ werden. Und überhaupt, wir könnten uns mit einiger Berechtigung fragen, warum die Natur all ihr Interesse auf die Jugend konzentriert. Ebenso gut könnte ja die Fortpflanzungsfähigkeit länger erhalten bleiben und damit könnten die Anstrengungen um die Gesunderhaltung des Individuums auch im späteren Alter einen höheren Stellenwert bekommen. Biologisch wäre das tatsächlich möglich, das wissen wir heute. Und bei vielen Tierarten ist das auch so. Aber die Natur hat noch einen anderen Grund, nicht allzu viel in höhere Lebensalter von uns Menschen zu investieren. Und das hat etwas mit Mathematik, mit kleinen Glasröhrchen und einer Schublade zu tun. Wir kommen gleich auf diesen etwas merkwürdig klingenden Zusammenhang zu sprechen.Lebensbedrohliche Mutationen
Mutationen sind zufällig entstehende Genveränderungen und ein typisches Phänomen des Lebens. Wahrscheinlich sind sie sogar ein wichtiger Motor für die Evolution. Allerdings: Die meisten dieser spontanen genetischen Veränderungen wirken für das Individuum überaus schädlich. Krebs ist ein Beispiel dafür. Eine Mutation kann auch in einem jungen Organismus auftreten beziehungsweise sich in einem frühen Alter auswirken. Weil aber das Überleben dadurch normalerweise behindert, wenn nicht unmöglich gemacht wird, sterben ihre Träger sehr bald – meist, bevor sie die Möglichkeit haben, sich fortzupflanzen und die Veranlagung zu frühen Mutationen weiterzugeben. Weit weniger stark wirkt die evolutionäre Auslese, wenn sich eine vererbte Mutation erst im späteren Alter bemerkbar macht. Wahrscheinlich ist die Alzheimer-Erkrankung die häufigste genetisch (mit-) bedingte Erkrankung, die im Erwachsenenalter auftritt. Eine besondere, vererbbare Genvariante vergrößert deutlich das Risiko zu erkranken. Da aber meist nur Menschen in höherem Alter betroffen sind, hat die Natur sozusagen wenig Handhabe, diese Vererbungslinie zu unterbrechen.Teure Wartungsarbeiten
Mutagene Prozesse und andere gefährliche Angriffe auf den Organismus finden ununterbrochen statt. Ohne eine pausenlos arbeitende Abwehr und Schnellreparatur wäre nicht einmal ein kurzes Leben möglich. Aber Körperzellen sind schädlichen Einflüssen nicht schutzlos ausgeliefert. Abwehrkämpfe und Ausbesserung von Schäden sind ein wesentlicher Überlebensfaktor. Dramatisch deutlich wird das, wenn diese Mechanismen nicht funktionieren, wie das bei der Immunschwächekrankheit Aids der Fall ist. An Aids erkrankte Kinder erleiden nicht nur vielfältige Infektionskrankheiten, auch die Krebsrate steigt schnell an. Perfekte Abwehr und aufwendige Reparatur sind aber nicht kostenfrei zu haben. Sie zwingen den Organismus, mit seinem Energie- und Ressourcenhaushalt entsprechende Schwerpunkte zu setzen; diese Ressourcen fehlen an anderer Stelle (s. u.). Für das Überleben einer Art ist es deshalb auch dabei wichtig, dass die Natur ihre Kräfte konzentriert und sich besonders auf Reparaturleistungen im jungen Organismus spezialisiert. „Nachlässigkeiten“, die sich im Alter einschleichen, wirken sich für die Arterhaltung weit weniger dramatisch aus.Amputierte Bakterien
Bakterien können, ebenso wie der Mensch, bestimmte lebensnotwendige Substanzen aus Nahrungsbausteinen herstellen. Andere Nährstoffe müssen sie in direkter Form aufnehmen, genau wie wir. Im Labor kann man nun einen Bakterienstamm derart verändern, dass die Fähigkeit, – sagen wir – eine Substanz A selbst herzustellen, verloren geht. Diese Substanz wird damit zu einem klassischen Vitamin, das diese Bakterien ab sofort über die Nahrung aufnehmen müssen, um zu überleben. Werden die veränderten Bakterien zusammen mit nichtmanipulierten Artgenossen in eine Nährlösung gesetzt, in der die Substanz A nur in sehr geringen Mengen vorkommt, vermehren sich vor allem die unveränderten Bakterien, die die Substanz A nach wie vor selbst herstellen können. Sie sind ja nicht von der Nahrungszufuhr abhängig. Der manipulierte Bakterienstamm dagegen erleidet Mangelerscheinungen und geht unter. Der Fall scheint ja auch auf der Hand zu liegen: Wenn Nährstoffe, die vorher im Organismus „einfach” selbst hergestellt wurden, nicht mehr produziert werden können und der Körper jetzt in Abhängigkeit von der Umwelt gerät, so muss das zwangsläufig zu Existenznachteilen führen. Oder nicht? Ein zweites Experiment: Setzt man beide Bakterienstämme in eine Nährlösung, die ausreichend große Mengen der Substanz A enthält, passiert etwas Überraschendes: Jetzt überleben beide Stämme nicht etwa gleich gut. Es vermehren sich vielmehr die Bakterien besser, die Substanz A nicht mehr selbst herstellen können und deshalb auf die externe Zufuhr angewiesen sind. Grund für diese überraschende Entwicklung: Jeder noch so einfach erscheinende Stoffwechselvorgang verlangt vom Organismus Energie und Ressourcen. Eine Energie, die unter Umständen von anderen Körpervorgängen abgezogen werden muss. Kann es sich eine Population leisten, an einem bestimmten Stoffwechselablauf zu sparen, so können die frei werdenden Ressourcen gewinnbringend in andere Bereiche investiert werden. Und das kann einen entscheidenden Überlebensvorteil bedeuten. Das Leben muss sich also „genau überlegen”, wann und worauf es seine Bemühungen konzentriert. Bitte beachten Sie: Deshalb sind auch bestimmte, immer wieder zu hörende Aussagen zur Nährstoffsubstitution unsinnig, Aussagen wie: Nährstoffe und vitaminähnliche Stoffe, die der Körper selbst herstellen kann, bräuchte man nicht von außen zuzuführen beziehungsweise sie hätten überhaupt keine Wirkung. Denn der Organismus würde ja immer genau die optimale Menge produzieren, die er benötigt. Falsch! Richtig ist: Vitalstoffe werden vom Körper nicht am Optimum orientiert produziert, sondern unter einer strengen Nutzen-Aufwand-Relation. Zusätzliche Substitution kann deshalb in vielen Fällen positiv und sinnvoll sein.Die letzten Zähne des Elefanten
Wie wichtig ein ökonomischer Umgang mit Lebensenergie ist und wie genau die Natur ihre Ressourcen verteilt, zeigt das Beispiel der Elefantenzähne. Elefanten sind fast den ganzen Tag damit beschäftigt, sprödes Gras zu zermalmen. Entsprechend schnell nutzen sich ihre Backenzähne ab. Nicht auszudenken, würden Elefanten nur einmal im Leben neue Zähne erhalten, wie wir. Sie wären schon in ihrer Jugend zahnlos. Auf einem Satz Zähne kann ein Elefant nämlich nur etwa 10 Jahre lang kauen, dann ist er abgenutzt und muss durch neue Zähne ersetzt werden. Das geschieht auch. Die Natur versorgt die Tiere immer wieder mit neuen Zähnen. Eine verschwenderische Ausstattung? Keineswegs. Etwa im Alter von 60 Jahren erhält der Elefant seinen sechsten und diesmal unwiderruflich letzten Zahnsatz. Elefanten werden 60 bis 70 Jahre alt und normalerweise genügt somit diese letzte Ausstattung bis zum Lebensende. Bleibt ein Elefant länger am Leben, gibt es keinen „Zahnbonus“ für das Tier. Eine Veranlagung, vielleicht in den späten Sechzigern zum siebten Mal Zähne zu entwickeln – sozusagen als Versicherung für einzelne, besonders langlebige Vertreter der Art –, ist vom Evolutionsstandpunkt aus „unrentabel“ und hat sich nicht durchgesetzt. Sehr alte Elefanten bezahlen diese strenge Ökonomie nicht selten mit einem grausamen Schicksal: Sie müssen verhungern.Alterung als Nebeneffekt
Alternsforscher interessierten sich schon immer für die Frage, in welcher Beziehung unser mächtiges Hormonsystem zum Altern steht. Denn die meisten Hormone und Botenstoffe verlieren im Alter ihre fein abgestimmte Regulation. Verhindert man diese Störungen, lassen sich viele Alterserscheinungen vermeiden. Hormonstörungen sind also sowohl Folge als auch Ursache von Altern. Doch nicht alles, was das Überleben im jungen, fortpflanzungsfähigen Alter sichert, ist auch im Hinblick auf die Langlebigkeit förderlich. Verschiedene Bereiche unseres Hormonsystems sind ebenfalls einer antagonistischen Pleiotropie unterworfen. Stressreaktionen sind solch ein Beispiel. Die Natur sichert unter allen Umständen eine möglichst optimale Reproduktion, um das Überleben der Art zu gewährleisten. Dabei sind ihr alle Mittel recht – auch solche, für die der Einzelne im späteren Leben eine bittere Rechnung bezahlen muss. Charles Mobbs, Endokrinologe am New Yorker Fishberg Center of Neurobiology, drückt das so aus: „Fehlfunktionen im späteren Leben sind im Wesentlichen Nebeneffekte eines optimalen Fortpflanzungserfolges im frühen Leben.“Überbevölkerung – kein Thema für die Natur
Altern als Nebeneffekt, Altern als Folge zufälliger genetischer Doppelwirkungen und Altern aufgrund einer strengen „Sparpolitik“ der Natur – wir haben jetzt eine ganze Reihe von Gründen kennengelernt, warum sich im Laufe der menschlichen Evolution das entwickeln konnte, was wir heute unter Alterung verstehen (und zu unserem Missfallen selbst erleben). Wir müssen auch – vielleicht ein wenig irritiert – zur Kenntnis nehmen, dass Menschen nicht deshalb altern, weil es ein geplantes oder notwendiges Schicksal ist. Nicht weil es vorbestimmt ist oder „Sinn macht“, sondern viel eher aus Zufall, durch eine Reihe von Nachlässigkeiten und vor allem Ökonomiemechanismen der Natur hat sich das Altern gewissermaßen über die Hintertür eingeschlichen. Man könnte jetzt einwenden, es gebe ja mindestens einen guten Grund, warum Altern und Alterstod existieren: Denn wie sollten neue Generationen überleben, wenn es keine oder nur geringe Alterung sowie keine Alterskrankheiten gäbe und die Menschen Jahrhunderte alt werden könnten? Nahrung oder Platz würden früher oder später knapp. Liegt also doch so etwas wie ein Sinn im Altern? Auch da ist die Antwort überraschend. Sie lautet: nein. Wegen drohender Überbevölkerung hätte Altern nicht entstehen müssen. Seit der Entwicklung der ersten Menschen bis in unsere Zeit, also seit vielen Hunderttausenden von Jahren, war der Tod aus „Altersschwäche“ eine Seltenheit. Um das Leben der Menschen zu beenden, hätte das Altern nicht „erfunden“ werden müssen. Unfälle, Hungersnöte, Infektionen und viele andere Faktoren sorgten über Jahrtausende dafür, dass die allermeisten Menschen ums Leben kamen, bevor sie überhaupt in die „glückliche Verlegenheit“ kommen konnten, an den Folgen ihrer Alterung zu sterben. Ganz im Gegenteil: Die Tatsache, dass das Leben schon ohne das Altern gefährlich genug ist, ist sogar ein weiterer Grund, warum sich die Natur über schädliche Begleiterscheinungen des menschlichen Alterungsprozesses „keine Gedanken zu machen“ brauchte. Zumindest galt das bis in die jüngste Geschichte der Menschheit. Und damit kommen wir zu den bereits erwähnten Glasröhrchen und der Schublade – erinnern Sie sich? – und dazu, was es damit auf sich hat.Die Schubladenparabel oder: Warum die Mathematik gegen zu viel Altersvorsorge spricht
Seneszenz (also die zunehmenden Funktionsverluste und Defizite im Alter) beeinträchtigt nicht die Fortpflanzung und damit das Überleben der Gattung Mensch. Das haben wir gesehen. Dennoch mag man angesichts der vielen Alterserscheinungen den Preis, den der Einzelne zu zahlen hat, als sehr hoch beklagen. Ist die Natur nicht doch zu nachlässig? Kommen wir noch einmal auf eine Überlegung von weiter oben zurück: Theoretisch könnte es für das Überleben der Gattung Mensch doch auch gewisse Vorteile haben, wenn Fortpflanzungsfähigkeit und Leistungsfähigkeit im Leben länger erhalten blieben: Bei längerer Fortpflanzungsfähigkeit würde sich die Natur dann auch länger um unser Jungbleiben kümmern. Nun ja, wie gesagt, theoretisch denkbar. Praktisch wäre der Vorteil aber äußerst gering. Der englische Zoologe und Nobelpreisträger Peter Bryan Medawar präsentierte 1957 dazu folgende interessante Parabel: In einer Schublade eines Labors liegen neben anderen Dingen kleine Glasröhrchen. Die Schublade wird von den Mitarbeitern häufig geöffnet, und weil man in einer großen Schublade nie das findet, was man gerade sucht, gehen bei der Wühlerei immer wieder Glasröhrchen in die Brüche. In regelmäßigen Abständen müssen deshalb Röhrchen ersetzt werden. Erhöht man nun mit einem kleinen Kunstgriff die Brüchigkeit der Glasröhrchen, gehen beim täglichen Umgang natürlich mehr Exemplare entzwei. Entsprechend wird ein größerer Nachschub gebraucht, will man das „Aussterben” der Röhrchen verhindern. So weit ist alles, wie es jeder erwarten würde. Manipuliert man die Brüchigkeit der Glasröhrchen aber so, dass sie langsam und zunehmend mit dem Alter der Röhrchen ansteigt (am Ende sogar viel stärker als beim vorherigen Versuch), kann man Erstaunliches feststellen. Es müssen jetzt in einem bestimmten Zeitraum kaum mehr Röhrchen ersetzt werden als im ursprünglichen Alltagsgebrauch ohne die zugefügte Brüchigkeit. Obwohl sich ja „junge” Glasröhrchen in keiner Weise von „alten” Glasröhrchen unterscheiden (es gibt keine Alterung bei Röhrchen), wirken sich Anfälligkeiten, die die „jungen” betreffen, sehr nachhaltig aus. Die Brüchigkeit von „alten” Exemplaren dagegen beeinflusst die „Röhrchenpopulation” nicht oder zumindest nur wenig. Grund: Durch die täglichen Schubladengefahren überleben die Glasröhrchen durchschnittlich ohnehin nur eine gewisse Zeit, auch ohne zu altern oder im eigentlichen Sinn sterblich zu sein. Nur sehr wenige erreichen deshalb ein chronologisch hohes Alter. Anfälligkeiten, die erst im hohen Alter auftreten, wirken sich entsprechend gering auf den Gesamtbestand aus.Die Natur erlaubt uns, jung zu bleiben
Ebenso verhält es sich in der Menschheitsentwicklung. Auch wenn man die genannten wichtigen Faktoren wie Fortpflanzungsfähigkeit oder Energiesparmaßnahmen beiseite lässt, ist es für die Natur sinnvoll, sich auf die Jungen und damit die Mehrheit zu konzentrieren. Wegen der alltäglichen Lebensgefahren gab es bis in die allerjüngste Vergangenheit nämlich nur wenige, die alt an Jahren wurden. Ob diese wenigen nun alt wurden im Sinne von Alterung und Krankheit, spielte für die Entwicklung der Gattung Mensch kaum eine Rolle. Es spricht also nichts dagegen, dass der Mensch bis in ein hohes Alter jugendlich bleiben könnte. Biologisch wäre das absolut möglich und die Natur jedenfalls verbietet es ihm nicht. Sie hat nur keine Veranlassung, von sich aus allzu viel Mühe darauf zu verwenden.Für das Alter ist jeder selbst verantwortlich
Inwieweit genau die verschiedenen Evolutionsmechanismen beim Menschen direkt oder indirekt am Funktionsabfall im Alter beteiligt sind, lässt sich nicht exakt abgrenzen. Wir brauchen auch nicht näher darauf einzugehen. Halten wir fest, dass es für die Entstehung von Seneszenz beim Menschen eine Reihe von Gründen geben kann. Rein biologisch ist körperlicher und geistiger Abbau jedenfalls auch in hohem Alter keinesfalls zwingend. Und viele Mechanismen, die diesen Abbau verhindern oder stark verzögern können, sind bereits entschlüsselt. Die Evolution interessiert sich immer nur für die Art, nicht für das Individuum. In unserem Fall heißt das: Um Alterserscheinungen, die spät im Leben auftreten, muss sich die Natur nur wenig kümmern. Für Alterserscheinungen, die sich zwar früher einstellen, aber nicht lebensbedrohlich sind, wie Falten, Haarausfall und Ähnliches mehr, interessiert sich die Natur überhaupt nicht. Die Natur hilft uns, solange wir jung sind. Wenn wir als Einzelperson Wert darauf legen, unsere Kraft, unser Aussehen oder unser geistiges Potenzial möglichst lange zu erhalten, müssen wir uns schon selbst darum kümmern. „Wer nicht handelt, dem wird der Himmel nie helfen.” SOPHOKLES [griechischer Tragiker und Philosoph, 496–406/5 v. Chr.] Wann Altern beginnt „50! Was jetzt schon? Splittert jetzt hier und da der Lack, bin ich jetzt auch so‘n alter Sack, zu dem ich und meine Gefährten jeden, der über zwanzig war, gnadenlos stempelten und gar zum Zausel und scheintot erklärten?” REINHARD MEY [deutscher Liedermacher, *1942] Wir alle haben eine mehr oder weniger genaue Vorstellung, was alt bedeutet. Auch unter blühender Jugend können wir uns etwas vorstellen. Wann aber beginnt dieses Verhängnis, das wir Altern nennen? Mit der ersten Falte, dem ersten grauen Haar? Der große amerikanische Schauspieler und Komiker George Burns machte sich darüber ebenfalls so seine Gedanken. Er kam zu dem Schluss, auch nicht genau zu wissen, wann Altern beginnt. Dafür schilderte er, wie man wenigstens eindeutig erkennt, dass man bereits alt ist. Wir möchten Ihnen diese Checkliste nicht vorenthalten.Ab wann Sie alt sind
Der amerikanische Schauspieler und Komiker George Burns in seinem Buch Dear George: Advice and Answers from America’s Leading Expert on Everything from A to B über das Altsein: Dass Sie alt sind, werden Sie dann wissen,… |
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Die Lebenstreppe
Schon in früheren Kulturen wurde das menschliche Dasein als eine Art Lebenstreppe gesehen. In der ersten Phase entwickelt sich der Mensch in einer stetig aufwärts führenden Entwicklung vom Kind zum erwachsenen Menschen. Der Höhepunkt wird im fünften Lebensjahrzehnt erreicht. Danach beginnt der Abstieg in die Alterung und den Tod. Einige Psychologen sehen Alterung heute als einen ausschließlich aufwärts strebenden Entwicklungsprozess, weil man immer mehr Wissen, Reife und Erfahrung sammeln kann. Andere haben mit einer solchen Sichtweise Probleme, da zumindest im körperlichen Bereich in der Jugend aufbauende, im Alter hingegen vielfach abbauende Prozesse ablaufen. Ist Alterung also doch ausschließlich ein Phänomen der zweiten Lebenshälfte?Untrügliche Zeichen
Wäre Altern eine Erscheinung, die erst sehr spät im Leben einsetzt, wie wäre dann aber beispielsweise das spätestens zwischen dem 30. und 35. Lebensjahr einsetzende Nachlassen der körperlichen Leistungsfähigkeit zu erklären? Wenn nicht Alterung, welche Ursachen stecken dahinter, wenn wir mit 30 das erste graue Haar oder schon Mitte 20 erschrocken die ersten Falten im Spiegel entdecken? Als man im Vietnamkrieg die gefallenen US-Soldaten untersuchte, waren die Pathologen überrascht, wie viele arteriosklerotische Ablagerungen die jungen durchtrainierten Männer bereits aufwiesen. Ihr Zustand war offensichtlich nicht nur eine Folge der Kriegsbelastung, sondern Vorbote klassischer „Alterskrankheiten“, deren Beginn man viel später vermutet hatte.Genauer Zeitpunkt
Manche Wissenschaftler vertreten die Auffassung, unsere Alterung beginne nach dem Ende der Pubertät. Sicher eine plausible Überlegung. Wer es jedoch ganz genau nimmt, kann tatsächlich schon in noch jüngeren Jahren erste Fingerzeige der Alterung entdecken. Wenn wir 20 sind, ist beispielsweise unser Bewegungsapparat bereits nicht mehr so beweglich und elastisch wie im Kindesalter. Im Spitzensport, beim Turnen oder der rhythmischen Sportgymnastik gehören Sportlerinnen deshalb schon vor ihrem 20. Geburtstag zum „alten Eisen“. Aus experimentellen Studien über Eingriffe in den Alterungsprozess kann man sogar ableiten, dass Alterungsprozesse mit der Geburt einsetzen – ja, wahrscheinlich sogar noch früher. „Geboren werden heißt, zu sterben anfangen.” LAO-TSE [chinesischer Denker, 6. Jahrhundert v. Chr.]Altern, bevor man geboren ist?
Wie so oft in der Wissenschaft führte der Zufall zu einem Hinweis darauf, dass im Organismus bereits vor der Geburt Alterungsprozesse ablaufen müssen. Es war ein Routinetest: Zu Beginn der 70er-Jahre sollte geklärt werden, ob Antioxidantien (= wichtige, auch in der Nahrung enthaltene Schutzstoffe wie Karotine, Vitamin C und andere) auch für das ungeborene Leben als unbedenklich eingestuft werden können. Natürliche Antioxidantien, aber auch synthetische Antioxidationsmittel setzt man unseren Lebensmitteln und auch dem Tierfutter zu, um das Verderben zu verzögern. In einer Studie wurden deshalb schwangeren Mäusen mit dem Futter Tocopherole (Vitamin E), Etoxyquin und weitere Antioxidantien verabreicht. Ihre Jungen kamen gesund und ohne negative Anzeichen zur Welt. Um auch Spätschäden auszuschließen, beobachtete man alle Neugeborenen weiter, bis sie alt waren. Jetzt geschah etwas Unerwartetes: Die Tiere, deren Mütter während der Schwangerschaft Antioxidantien erhalten hatten, blieben im Laufe ihres Lebens nicht nur äußerst gesund, sie wurden sogar älter als die Mäuse, deren Mütter während der Tragzeit mit normalem Futter gefüttert worden waren. Schutzwirkung schon im Mutterleib: Antioxidantien bewahren das Futter beziehungsweise Nahrungsmittel vor dem Verderben. Dass sie gleichzeitig sogar diejenigen schützen, die dieses Futter essen, war ebenfalls bereits bekannt – Antioxidantien verhindern das Ausbreiten von sogenannten Radikalen, die als ein wichtiger Alterungsfaktor gelten (vgl. II.2). In diesem Fall aber betraf die antioxidative Wirkung Embryonen, bei denen bisher keine Alterungsprozesse vermutet worden waren. Obwohl die Jungtiere bereits nach der Geburt normal – ohne weitere Schutzstoffe – ernährt wurden, war bei ihnen der normale Alterungsprozess verlangsamt. Eine faszinierende Vorstellung, dass etwa freie Radikale möglicherweise schon vor der Geburt einen Einfluss auf den Verlauf der späteren Alterung ausüben.Wachsen und Altern
Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, alle Prozesse im Körper würden parallel und in abgestimmter Harmonie ablaufen. Aufbauende und von uns als positiv angesehene Entwicklungsprozesse sind gleichzeitig von Alterung und Abbau begleitet, selbst in der Jugend. Etwa in der Lebensmitte fällt der Rückgang positiver Entwicklungen mit den ersten deutlichen Alterungserscheinungen zusammen. Es entsteht der Eindruck, als würde erst dann die eigentliche Alterung beginnen. Eine genauere Betrachtung zeigt aber die Differenziertheit der Mechanismen. So baut sich beispielsweise unser im Gehirn gespeichertes Wissen praktisch bis zum Tod immer weiter auf, obwohl gleichzeitig gerade im Gehirn schon früh Alterungs- und Abbauprozesse stattfinden. Andere Leistungsbereiche haben bei uns ihren Höhepunkt schon in einem Alter überschritten, das wir eigentlich noch der Jugend zurechnen. „Im Alter ist noch Jugend, in der Jugend schon Alter.” GOLO MANN [deutscher Historiker und Schriftsteller, 1909–1994]Alternsintervention sollte früh beginnen
Dass wir uns hier so intensiv mit der Frage nach dem Beginn von Alternsprozessen beschäftigen, geschieht nicht nur, um dem Phänomen Altern genauer auf die Spur zu kommen. Es hat auch ganz handfeste, konkrete Gründe. Denn aufgrund dieser Zusammenhänge müssen wir uns von einem verbreiteten Irrglauben verabschieden: von der Vorstellung, in der Praxis sei Alternsintervention vor allem etwas für ältere Menschen. Das Gegenteil ist richtig: Je früher wir den Kampf gegen das Altern aufnehmen, desto besser sind unsere Erfolgsaussichten. Das bedeutet keineswegs, dass es im hohen Alter aussichtslos wäre. Wie wir noch sehen werden, ist die Beeinflussung von Alternsprozessen sogar bis ins höchste Alter möglich. Aber nie mehr werden Ihre Chancen auf jugendliches Aussehen und vor allem auf jugendliche Leistungsfähigkeit so gut stehen, wie wenn Sie zum bestmöglichen Zeitpunkt beginnen: jetzt! „Du bist jung und das Leben ist lang und es gibt genug Zeit totzuschlagen. Und dann, eines Tages, stellst du fest, dass zehn Jahre an dir vorbeigezogen sind. Niemand hat dir gesagt, wann du loslaufen sollst; du hast den Startschuss verpasst. Und du rennst und du rennst, um die Sonne wieder einzuholen, aber sie sinkt.” PINK FLOYD [aus einem Musikstück mit dem Titel Time] Die Lebensspanne des Menschen Die Erfolgsgeschichte täuscht An optimistischen Vorhersagen über die Entwicklung der menschlichen Lebensspanne mangelt es heutzutage nicht. Vor allem im 20. Jahrhundert stieg die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen in den Industrienationen geradezu dramatisch an. Und diese Entwicklung geht weiter. Ein Grund zu sorgloser Freude? Altern wir immer weniger, immer langsamer? Keineswegs. Um zu verstehen, was diese scheinbar glänzenden statistischen Zahlen mit unserer individuellen Alterung zu tun haben, lassen Sie uns zunächst einen Blick in die Vergangenheit werfen.Altern in früherer Zeit
Um in der Menschheitsgeschichte auf eine sehr kurze durchschnittliche Lebensspanne zu stoßen, muss man keineswegs in die Urzeit zurückgehen. Noch zu Zeiten der Griechen und Römer wurden die Menschen im Durchschnitt nur 20 bis 30 Jahre alt. Angesichts dieser und ähnlicher Zahlen könnte man vermuten, das hohe Alter sei eine „Erfindung“ der Neuzeit; und genau das wird uns allenthalben vermittelt. Heutzutage liegt die durchschnittliche Lebenserwartung wesentlich höher: in Deutschland bei etwa 73 Jahren für Männer und über 80 Jahren für Frauen. Die Lebenserwartung steigt weiter und ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen. Ist es also gar nicht nötig, das Altern mit teuren Hormonoptimierungen, Antioxidantien und anderen Methoden zu bekämpfen? Sollten wir uns nicht einfach zurücklehnen und darauf verlassen, dass wir alle schon bald 100 Jahre und mehr werden leben können? Viele „Experten“ sagen das und berufen sich auf die „untrüglichen“ Statistiken; und die moderne Medizin werde schon dafür sorgen, dass wir bis ins höchste Alter gesund und leistungsfähig bleiben. Vorsicht, wenn Sie kein böses Erwachen erleben wollen! Vielleicht kennen Sie die Geschichte vom gutgläubigen Reiter, der bei dem Versuch, einen Fluss zu überqueren, mitsamt seinem Pferd ertrank: Man hatte ihm versichert, der Fluss sei „im Durchschnitt“ nur einen Meter tief …!Das hohe Alter ist keine „Erfindung“ der Neuzeit
Bei den alten Griechen betrug die durchschnittliche Lebenserwartung gerade einmal 22 Jahre. Der griechische Philosoph Sophokles aber lebte damals schon 90 Jahre bei bester Gesundheit. Und er war kein Einzelfall. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrug die Lebenserwartung in Deutschland etwa 46 Jahre. Allerdings wird jeder, der sich für seinen eigenen Stammbaum interessiert, so viele 70- oder 80-Jährige finden, dass es scheinen mag, ein solches Alter sei nicht die Ausnahme, sondern fast schon die Regel gewesen. Woher kommt das?Die „durchschnittliche“ Lebenserwartung
Der Begriff „durchschnittliche Lebenserwartung“ bezeichnet eine Angabe, in der alle Sterbefälle mit verrechnet sind. Dabei wirkt sich ganz besonders die in früherer Zeit sehr hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit negativ aus. Auch Unfälle und tödliche Infektionskrankheiten in jungen und mittleren Jahren drücken die Statistik so nachhaltig, dass die Durchschnittsangabe für das Verständnis der Alterung im Grunde wenig Aussagekraft besitzt und sogar zu völlig falschen Schlussfolgerungen führt. Unsere eigenen Urgroßeltern konnten – im scheinbaren Gegensatz zur Statistik – deshalb alt werden, weil nur derjenige Kinder beziehungsweise in diesem Fall Urenkel haben kann, der eben nicht schon als Kind stirbt, sondern überhaupt die Chance hat, „normal“ zu altern und sich fortzupflanzen. Tatsächlich lief der Alterungsprozess früher nicht wesentlich anders ab als heute. Bei Geburtstagen Hochbetagter pflegen wir darauf anzustoßen, dass der Jubilar beispielsweise noch seinen 100. Geburtstag erleben möge. Ein 85-jähriger Jubilar, auf den seine Gäste zur Zeit des Kaiserreiches anstießen, hatte in der Tat kaum geringere Chancen, seinen 100. Geburtstag zu erleben, als ein 85-Jähriger heute. Auch die moderne Medizin ändert am Altersverlauf nichts. Sie ist darauf ausgelegt, Krankheiten zu bekämpfen, und beeinflusst daher die durchschnittliche Lebenserwartung in erster Linie über die Reduzierung vorzeitiger Todesfälle. Der Alterung selbst, aber auch degenerativen Alterskrankheiten, beugt sie nicht vor.Die maximale Lebensspanne – Hatte die Bibel doch recht?
„Da sprach der Herr: Ich will ihm als Lebenszeit geben hundertzwanzig Jahr.“- Buch MOSE 6,3
Der älteste Mensch der Welt
Kaum etwas verleitet so zum Schummeln wie Altersrekorde. In der Gerontologie hat man deshalb früh gelernt, sich bei Altersangaben wirklich nur auf eindeutige Beweise zu stützen. Mangels verbriefter Daten gibt es nur wenige absolut sichere Beweise für das Erreichen des menschlichen Höchstalters. Aber es gibt sie. Am 21. Februar 1875 wurde im südfranzösischen Arles ein Mädchen mit Namen Jeanne Calment geboren. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war sie mit 70 Jahren längst im Rentenalter. Madame Calment lebte noch weitere 50 Jahre in Südfrankreich, bis sie am 4. August 1997 starb. Bis wenige Jahre vor ihrem Tod hatte sie ein selbstständiges Leben geführt. Jeanne Calment erreichte damit das mutmaßliche Höchstalter für Menschen: Sie wurde 122 Jahre alt. Es gibt zurzeit weltweit nur eine Handvoll Menschen, die nahe daran sind, es Jeanne Calment gleich zu tun.In der Natur kommt der Tod zu den Jungen
Kehren wir noch einmal zur durchschnittlichen Lebensspanne und zu unseren Vorfahren zurück, diesmal aus der Sicht der natürlichen Normalität, was das Leben und Sterben betrifft. Seitdem die „moderne“ Form des Menschen, der Homo sapiens, auf der Erde lebt, beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung fast bis in die Gegenwart nur 20 bis 30 Jahre. Und auch wenn man die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit herausrechnet, bleibt doch die beachtenswerte Tatsache bestehen, dass als natürliche Normalität über 100 000 Jahre lang zumindest die Mehrzahl der Menschen nur ein mittleres Alter erreichte – gemessen an der damals wie heute gültigen Höchstgrenze von etwa 120 Jahren. Direkten Alterserscheinungen oder Alterskrankheiten fielen über Jahrtausende hin nur wenige zum Opfer. Die meisten Menschen starben im wahrsten Sinn des Wortes jung, denn der Alterungsprozess lief, wie gesagt, praktisch genauso ab wie heute.Verlängerung am falschen Ende
In den Industrienationen beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung zurzeit etwa 80 Jahre. Unsere durchschnittliche Lebensspanne hat sich somit deutlich verlängert. Allerdings ist es nicht die „starke“ Lebensphase, die sich verlängert hat, sondern im Wesentlichen der „schwache“ Abschnitt unseres Lebens, das Alter. Heute sterben nur noch relativ wenige Menschen aufgrund äußerer Einflüsse, sondern tatsächlich an den meist sehr unangenehmen Folgen des Alterungsprozesses – ein Zustand, der in der Natur eigentlich nicht oder zumindest nur als Ausnahme vorgesehen ist. Unsere Zivilisation und unser Gesundheitswesen helfen uns heute, im Alter länger zu leben. Anders ausgedrückt: Wir haben die Chance, länger alt zu bleiben. Solange aber die Geschwindigkeit unserer Alterungsprozesse selbst nicht verändert wird, ist diese Aussicht ein mehr als zweifelhaftes Glück – von den dramatischen finanziellen Auswirkungen auf das Gesundheitswesen ganz zu schweigen (siehe Teil III). Für den Einzelnen wünschenswerter und für die Gesellschaft wichtiger ist im Hinblick auf die Beeinflussung der Lebensspanne ein völlig neuer Ansatz: Länger jung und leistungsfähig bleiben! Und genau diesem Ziel gehen wir in diesem Buch nach. „Man sollte manchmal einen kühnen Gedanken aussprechen, damit er Frucht brächte.” JOHANN WOLFGANG VON GOETHE [deutscher Dichter und Naturwissenschaftler, 1749–1832]Alt werden, aber nicht alt sein – die Vergrößerung der funktionellen Lebensspanne
Weder die Verlängerung der durchschnittlichen noch die der maximalen Lebensspanne ist uneingeschränkt erstrebenswert. Es lässt sich unschwer voraussagen, dass nur wenige Menschen Interesse daran haben, länger zu leben, wenn die gewonnenen Jahre keine lebenswerten Jahre, sondern nur eine Verlängerung des Altseins sind. (Das gilt auch dann, wenn sich in Umfragen ein deutlicher Unterschied ergibt, je nachdem, ob man jüngere oder ältere Leute zu diesem Thema befragt. Im Alter nimmt die Akzeptanz der Lebensverlängerung zu, selbst wenn diese mit erheblichen gesundheitlichen Abstrichen verbunden ist.) In der Gerontologie wurde deshalb der Begriff der „funktionellen Lebensspanne“ geprägt. Damit wird der Bereich des gesunden, aktiven und produktiven Lebens umschrieben. Die Frage ist nur: Wie lässt sich dieses Ziel erreichen? Noch immer setzen viele Menschen ihre Hoffnungen auf eine stetige Weiterentwicklung der medizinischen Krankheitsbehandlung. Die Medizin ist jedoch, wie gesagt, in erster Linie darauf ausgerichtet, Krankheit, Degeneration und Alterung zu kompensieren, weniger darauf, ihnen wirklich vorzubeugen. In der steigenden Lebenserwartung sehen deshalb zunehmend mehr Experten alles andere als eine positive Entwicklung. Aktuelle Prognosen zur Entstehung von Alterskrankheiten wie Alzheimer oder Zahlen zur Pflegebedürftigkeit scheinen entsprechende Befürchtungen zu rechtfertigen.Wir scheinen umdenken zu müssen
Gerontologen kommen angesichts jüngerer Erkenntnisse in der Alternsforschung zu neuen Denkansätzen. Einer der renommiertesten Alternsforscher, Denham Harman, hält eine wirksame Verlängerung der aktiven Jahre nur für möglich, wenn das therapeutische Augenmerk nicht nur (Alters-) Krankheiten, sondern eben tatsächlich dem Alterungsprozess selbst gilt. Auch Richard Cuttler vom Gerontology Research Center in Baltimore wird nicht müde zu betonen, dass nur durch eine Beeinflussung der Alterung selbst in Zukunft degenerative Alterserscheinungen und Alterskrankheiten, von Krebs bis zur Demenz, in ihrer Gesamtheit möglichst weit in Richtung des maximalen Höchstalters hinausgeschoben werden können. Entsprechend beschäftigen wir uns weniger mit der Frage, wie man das Alter verlängern kann. Viel wichtiger und interessanter ist nämlich, wie wir länger Kraft und Jugendlichkeit erhalten können. Und wie es vielleicht sogar gelingt, die Altersuhr in manchen Bereichen ein Stück zurückzudrehen. „Langlebigkeit ist nur erstrebenswert, wenn sie das Jungsein verlängert, nicht aber das Altsein hinauszieht.” ALEXIS CARREL [französischer Nobelpreisträger für Medizin, 1873–1944] Ist Altern eine Krankheit? Was meinen Sie dazu? Spontan würden die meisten Menschen die Frage eher verneinen. Andererseits häufen sich Krankheiten im Alter ganz erheblich. Zumindest scheint also eine enge Verbindung zu bestehen. Über die Frage, wie Alter und Krankheit zusammenhängen, sind ganze Bücher und unzählige Artikel in Fachzeitschriften geschrieben worden. Das Meiste davon muss uns hier nicht interessieren. Im wesentlichen Teil dieses Buches geht es ja nicht um graue Theorie, sondern um konkrete, praktische Möglichkeiten, wie wir unser Altern verlangsamen und länger leistungsfähig bleiben können. Doch gerade deshalb lohnt es sich, zumindest einen kleinen Moment bei diesem Thema zu bleiben. Sie werden sehen, so theoretisch, wie die Frage klingt, ist sie gar nicht.Alterskrankheiten – eine Folge schlechter Gewohnheiten?
Jeder, den Sie auf der Straße nach Alterskrankheiten fragen, würde Ihnen sofort wenigstens einige nennen können, etwa Parkinson, Diabetes, Atherosklerose, Alzheimer oder Krebs. Früher wie heute werden bestimmte Krankheiten geradezu zwangsläufig mit dem Altern verbunden. In der Medizin ist dagegen immer noch eine andere Einschätzung verbreitet. Nach Medizinersicht treten Alterskrankheiten nur beim krankhaften und damit „unnormalen“ Altern auf. „Normal“ altert, wer von Krankheiten frei bleibt und ein durchschnittliches Alter erreicht. „Optimal“ altern hieße, ganz frei von Abbauprozessen zu sein und bis zum Erreichen der maximalen Lebensspanne von etwa 120 Jahren gesund zu bleiben. Hat Krankheit also gar nicht direkt etwas mit Altern zu tun? Von der Antwort auf diese Frage hängt viel ab. Denn diejenigen, die Krankheit und Alterung als unabhängig voneinander betrachten, ziehen daraus folgenden Schluss: Weil krankhaftes Altern kein normales Altern darstelle, müsse man nicht das Altern selbst bekämpfen, sondern nur die Krankheiten. Anti-Aging-Therapien seien für lebenslange Gesundheit und Vitalität unnötig. Schließlich könnten Krankheiten durch das Ausschalten von Risikofaktoren verhindert werden. Und sogar für das sogenannte optimale Altern sei es ausreichend, Risikoverhalten wie Bewegungsmangel und ungesundes Essen zu vermeiden. Kann also jeder von uns wirklich davon ausgehen, 100 Jahre oder noch länger gesund und leistungsfähig zu bleiben, wenn er einfach den bekannten Gesundheitsregeln folgt? Wir empfehlen, sich nicht auf solche Aussagen zu verlassen. Es gibt gute Gründe, die für eine andere Sichtweise sprechen.Krankheit ist keine zufällige Begleiterscheinung des Alterns
Es ist zwar richtig: Übermäßiges Essen oder starker Alkoholkonsum fördern Krankheiten, auch im Alter. Und es gibt tatsächlich Hochbetagte, die auch mit 100 Jahren nicht „krank“ sind. Zumindest nicht im klassischen Sinn. Rücken wir aber die Relationen zurecht: Trotz einer Lebensspanne von über 120 Jahren erreicht lediglich ein einziger von 1Million Menschen auch nur das Alter von 105 Jahren. Alle anderen sterben vorher, die meisten viel früher, und sie leiden häufig gleich an mehreren chronischen und degenerativen Alterskrankheiten. Einen „natürlichen Tod aus Altersschwäche“ gibt es auch (und gerade) in unserer modernen Gesellschaft nicht. Heute haben 2 von 100 Personen über 65 Alzheimer. Bei den über 85-Jährigen ist die Häufigkeit dieser Alterskrankheit bereits mehr als zehn Mal so hoch. In den Neunzigern steigt sie auf erschütternde 50 Prozent. Demenz ist dann nicht mehr Ausnahme, sondern Regel. Auch fast alle Krebserkrankungen nehmen im Alter zu, viele davon extrem. Die Mehrheit (!) aller 70-jährigen Männer hat zum Beispiel eine maligne Entartung der Prostata, häufig unentdeckt, weil dieser Krebs nur langsam wächst und viele an anderen Leiden sterben, bevor die Krebsfolgen zum Tragen kommen. Trotz verbesserter Heilungsmethoden sterben heute mehr Menschen an Krebs als jemals zuvor. Die Liste von Zerfallsprozessen, Fehlfunktionen und krankhaften Abläufen, die parallel zur Alterung extrem zunehmen, ließe sich fortsetzen. Und das ist keineswegs nur die Folge ungesunder Lebensweise. Fast alle Säugetiere, unsere nächsten Verwandten im Tierreich, leiden im Alter an krankhaften Veränderungen der Blutgefäße – auch ohne ungesundes Verhalten. Und wie beim Menschen ist Krebs auch im Tierreich eine typische Begleiterscheinung des Alters und häufig sogar die führende Todesursache. Den beeindruckendsten Beweis dafür, dass hinter Alterskrankheiten mehr steckt als ein ungesunder Lebenswandel, liefert jedoch ein Phänomen, das beim Menschen selbst auftritt. Es ist die „Progerie“.Wenn die Alterung „rast“
Einmal im Jahr treffen sich Kinder, die alle ein trauriges Schicksal teilen. Sie haben Progerie, eine Form von vorzeitiger Vergreisung. Progerie gehört zu einer Krankheitsart, bei der die Alterung nicht so abläuft, wie es scheinbar für uns vorbestimmt ist.Progerie: alte Kinder
Progerie bedeutet „vorzeitige Vergreisung”. Das Hutchinson-Gilford-Syndrom, wie die Progerie in der Fachsprache heißt, ist eine Erscheinung, von der etwa ein Kind unter vier bis acht Millionen Geburten betroffen ist. Wahrscheinlich wird das Auftreten durch eine spontane Genvariation verursacht. Nach der Geburt ist noch nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Im Alter von einem Jahr können sich aber dunkle Schatten und eingefallene Stellen im Gesicht der Kinder zeigen. Der Aufbau- und Entwicklungsprozess dieser Kinder verläuft in etwa normal schnell. Parallel dazu sind aber alle körperlichen Alterungsprozesse sieben bis zehn Mal beschleunigt. Der Haarwuchs wird schnell spärlich und bei Schulbeginn sind die Haare meist fast vollständig ausgefallen. Schon im Kindesalter wird die Haut welk und runzelig. Teenager haben Altersflecken, wie sie sonst erst im Alter von 90 Jahren typisch sind. Mit zehn bis zwölf Jahren plagen Arthritis, Arteriosklerose, Bluthochdruck, Diabetes und Herzbeschwerden die Kinder. Viele leiden unter Knochenschwund und Versteifungen. Manche sterben schon mit zwölf an Herzinfarkt. Andere erleben völlig vergreist und oft schon im Rollstuhl noch ihren 16. oder 18. Geburtstag. Eine echte Heilung gibt es bis jetzt noch nicht.Altern fragt nicht nach der Zahl der Jahre
Das Phänomen der Progerie führt uns gleich mehrere Dinge vor Augen. Es zeigt sich einmal mehr, dass Altern kein Prozess ist, der erst nach Aufbau, Entwicklung und Wachstum beginnt. Altern ist ein eigenständiges Phänomen und interessiert sich nicht für die Zahl unserer Jahre. (Diesem wichtigen Punkt sind wir ja schon mehrfach begegnet.) Bei Vergreisungskrankheiten ist nicht der Zeitpunkt, sondern lediglich die Geschwindigkeit der Alterung eine andere. Sonstige Lebensprozesse der von Progerie Betroffenen, ihre Entwicklung und ihr Wachstum, laufen dagegen normal schnell. Noch bevor die Kinder ausgewachsen sind, wird ihr Wachstum von starken Degenerationsprozessen überlagert. Das Ergebnis ist diese unfassbare Mischung aus Greis und Kindergestalt. Manche sterben noch mit ihren Milchzähnen.Die wirkliche Ursache hinter Alterskrankheiten
Auch ein anderer Aspekt bringt unser ehernes und seit Generationen verinnerlichtes Bild vom Altern ins Wanken. Vielleicht hat Ihnen die geradezu unerhörte Tatsache bereits zu denken gegeben, dass bei Progerie fast alle klassischen „Wohlstandskrankheiten“ (wie Bluthochdruck, Diabetes und Herzleiden) auftreten. Und das, obwohl bei den betreffenden Kindern kein Risikoverhalten wie jahrzehntelanges zu fettes Essen, Bewegungsmangel oder Rauchen vorliegt. Ihre Gefäße sind „verkalkt“, ihre Gelenke „abgenutzt“. Spätestens im Alter von 10 bis 15 Jahren stellt sich bei Progerie eine Alterskrankheit nach der anderen ein. Niemand würde auf die Idee kommen, diesen Kindern die Schuld an ihren „Wohlstandskrankheiten“ zuzuschreiben. Das wäre auch völlig unsinnig. Für die Abnutzungserscheinungen und auch für alle Krankheiten ist allein die beschleunigte Alterung verantwortlich. Und noch etwas anderes wäre undenkbar: Kein Mediziner oder Wissenschaftler, der Menschen mit Progerie behandelt, glaubt daran, durch das Bekämpfen der einzelnen Krankheiten die Gesundheit der Kinder erhalten zu können. Denn eine schnell fortschreitende Alterung bringt immer neue Krankheiten hervor. Und es ist wie bei dem Drachen aus der Mythologie, bei dem sich für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue bilden: Ist die eine Alterskrankheit besiegt, kommen die nächsten schon zum Ausbruch. Was normalerweise erst mit 80 oder 90 Jahren typisch ist, geschieht hier bereits im Alter von 15. Die Progerieforscher versuchen daher längst, statt der Einzelkrankheiten den wirklichen Feind zu bekämpfen. Es ist derselbe, den moderne Gerontologen ganz generell als Hauptursache für die klassischen Alterskrankheiten beim Menschen einstufen: die Alterung selbst. Nur wenn wir beginnen, Alterungsprozesse frühzeitig zu bekämpfen, werden wir auch als Gesellschaft die Herausforderungen der auf uns zukommenden Alterspyramide bewältigen. Was heute noch medizinischer Luxus zu sein scheint, wird in naher Zukunft zu unserer einzigen Chance für ein funktionierendes Gesundheitssystem werden. „Wer das liest, der merke auf!” Evangelium nach MATTHÄUS 24,16Wir bestimmen bereits jetzt die Geschwindigkeit unserer Alterung
Wenn Alternsprozesse für die Häufung von Alterskrankheiten verantwortlich sind, ist unser Verhalten dann ohne Einfluss? Ist es vielleicht sogar nutzlos, Gesundheitsempfehlungen zu befolgen? Unser Verhalten spielt definitiv eine Rolle. Denn das Altern ist, wie wir gesehen haben, kein festgelegter Ablauf. Durch Ernährungsfehler, Schlaf- und Bewegungsmangel tun wir nichts anderes, als Alternsprozesse zu beschleunigen. Und weil Altern eben tatsächlich beeinflussbar ist, funktioniert das sehr erfolgreich. Die Folge ist dann, ähnlich wie bei den vererbten Vergreisungskrankheiten, eine schnellere Alterung mit entsprechend früh einsetzenden chronischen und degenerativen Krankheiten. (Die beschleunigte Alterung kann den gesamten Organismus betreffen oder nur einzelne Bereiche.) Umgekehrt lassen sich durch Vermeidung von Risikoverhalten beschleunigte Alternsprozesse und Krankheiten vermeiden. Wir altern dann zumindest nur „normal schnell“.Es geht um mehr als nur um die Erfüllung eines Jugendtraums
Wollen wir Gesundheit und Leistungsfähigkeit bis ins höhere Lebensalter erhalten, reicht aber das Vermeiden von Risikoverhalten allein nicht aus. Was der Erhaltung unserer Gesundheit substanziell im Weg steht, sind schädliche Alternsprozesse. Und genau die gilt es zu ins Visier zu nehmen. Interessanterweise kam bereits der griechische Philosoph und Naturforscher Aristoteles zu diesem Ergebnis. Er war davon überzeugt, die klassischen Krankheiten im Erwachsenenalter seien direkt mit dem Altern verbunden. Im Fall frühen Auftretens typischer Alterskrankheiten sah er dementsprechend Anzeichen vorgezogener Alterung. Für ihn waren nicht Einzelkrankheiten, sondern die Alterung der Hauptfeind der Gesundheit. Inzwischen können wir mit Sicherheit sagen: Aristoteles hatte in der Tat recht! „Krankheit ist vorzeitiges Altern, Alter aber natürliche Krankheit.” ARISTOTELES [griechischer Philosoph und Naturforscher, 384–322 v. Chr.] Leonid Gavrilov und Natalia Gavrilova von der Universität Chicago, zwei der renommiertesten Biogenetiker und Gerontologen, haben die weltweit umfassendsten und genauesten Modelle zur menschlichen Mortalität entwickelt. Ihre Forschungen bestätigen die Aussagen von Aristoteles in vollem Umfang. Mehr noch: Altern ist nur ein anderes Wort oder ein Sammelbegriff für Fehlfunktionen, Störungsprozesse und andere Erscheinungen, die dann je nach Ausprägung gemeinhin als Alterskrankheit bezeichnet werden. Ein biologischer Organismus kann erkranken, ohne gealtert zu sein (zum Beispiel bei Infektionen), aber er kann niemals altern und dabei gesund bleiben. Alterskrankheiten sind der sichtbare Ausdruck der eingetretenen Alterung. „Gesundes Altern ist ein Oxymoron wie gesundes Sterben oder gesundes Kranksein.“- GAVRILOV und N. GAVRILOVA [Center of Aging an der Universität von Chicago]
Wenig sinnvoll: Warten auf die eine Pille
Wäre unsere Alterung auf eine einzige übergeordnete Ursache zu reduzieren, könnte man auch darauf hoffen, mit nur einer Pille das Altern zu verhindern. Ein verlockender Gedanke nicht nur für die, die vom Zurückgewinnen ihrer Jugend träumen. Auch die Gegner jeglicher Art von Alternsintervention verweisen auf das theoretische Ziel, vielleicht einmal eine einzige Ursache zu finden. Nach ihrer Ansicht sollte das Altern beim Menschen überhaupt erst dann beeinflusst werden, wenn alle Fragen zur Alterung beantwortet sind. „Die meisten Dinosaurier waren Vegetarier, sie haben niemals geraucht oder Alkohol getrunken – und wo sind sie jetzt?“ Warten, bis alle Fragen geklärt und alle möglichen Risiken ausgeschlossen sind? In jedem Fall wäre man auf der sicheren Seite. Doch die Vertreter dieser Abwartestrategie werden weniger. Aus gutem Grund. (Siehe „Nicht aufschieben, sondern handeln!“) „Wenn das Schicksal ruft: Feuer!, so achten das die wenigsten; erst wenn sie hören: Rien ne va plus!, bekommen sie Lust, aber zu spät.” LUDWIG BÖRNE [deutscher Publizist und Journalist, 1786–1837] Der Alternsphysiologe Byung Pal Yu von der Universität Texas in San Antonio unterstützt die Praktiker. Er macht keinen Hehl daraus, was er davon hält, auf irgendwelche speziellen Entdeckungen zu warten: „In einer radikalen Abkehr von der bisherigen Vorstellung vom sogenannten eigentlichen Alterungsprozess stimmen heute die meisten Gerontologen darin überein, dass Altern nicht von einem einzelnen Faktor verursacht wird, der den gesamten Ablauf steuert, sondern dass Altern durch das Zusammenspiel verschiedener intrinsischer und extrinsischer Kräfte bestimmt wird.“ Die Ursachen für die Alterung beim Menschen sind extrem vielschichtig. Mit einer einzigen Pille gegen das Altern wird es also nichts werden.Wer die Schrittmacher stoppt, der bremst das Altern
Zum Glück müssen wir nicht allen rund dreihundert Einzelmechanismen der Alterung Rechnung tragen. Alterung ist, wie gesagt, sehr komplex. Genau diese Tatsache, die Grundlagenforscher schon einmal die Haare raufen lässt, ist für uns eher von Vorteil. Denn die Komplexität ergibt sich daraus, dass viele Einzelfaktoren in Wechselwirkung zueinander stehen, einander verstärken oder von gemeinsamen übergeordneten Prozessen mitgesteuert werden. Eine Beeinflussung, die an wenigen zentralen Punkten ansetzt, kann deshalb weitreichende positive Effekte haben. Roy Walford, einer der bekanntesten Alternsforscher des 20. Jahrhunderts, hielt schon früh nichts von der bisherigen Strategie der Gegenüberstellung und Aufrechnung der verschiedenen Alternstheorien. Dieser reduktionistische Blickwinkel ziele am Wesen der Alterung vorbei. Seine Kritik brachte ihm zunächst einiges Missfallen von Kollegen ein; wie man sich denken kann, vor allem von denen, die hofften, dass sich ihre eigene Theorie durchsetzen würde. Nun, durchgesetzt hat sich heute eher die Ansicht von Walford, der nicht von „der Ursache“ des Alterns, sondern von verschiedenen „Schrittmachern“ sprach. Auch mit seinem persönlichen Eintreten für eine stärkere Anwendung der bereits zur Verfügung stehenden Mitteln stieß er lange auf den Widerstand konservativer Mediziner. Die Zahl der Gerontologen, die wie Walford wesentlich mehr konkrete Umsetzung forderten, nahm in den 90er-Jahren weltweit dennoch schnell zu.Nicht aufschieben, sondern handeln!
Mindestens drei Gründe sprechen dafür, mit der Anwendung praktischer Alternsintervention nicht noch länger zu warten:1. |
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Warum es bei der Alternsprävention weder absolutes Wissen noch absolute Sicherheit geben kann
Sind die heute vorliegenden wissenschaftlichen Fakten für konkrete Alternsbekämpfung „ausreichend”? Nehmen wir das Beispiel Melatonin (vgl. II.9). Schon Mitte der 90er-Jahre hielten führende Wissenschaftler angesichts des damaligen Erkenntnisstandes die Substitution beim Menschen für gesundheitlich sinnvoll. Andere lehnten den praktischen Einsatz ab. „Unzureichende Daten“, so das Argument. Im vergangenen Jahrzehnt „explodierte“ das Wissen über diesen Naturstoff. Heute liegen mehr als 20 000 (!) wissenschaftliche Arbeiten vor, gerade auch über die praktische Anwendung. Das sind mehr Daten, als zu den meisten der herkömmlichen Arzneimittel jemals existieren werden. Unzählige Tierversuche bestätigen ein hohes Sicherheitspotenzial. Mehrere Millionen Menschen weltweit nehmen Melatonin seit mehr als 15 Jahren täglich ein. Sind das nun „ausreichende” Daten? Die Mehrheit der Melatoninexperten sagt „ja“. Die zuständigen Behörden sind dennoch gegen die praktische Nutzung: Die lebenslange Einnahme sei noch „nicht ausreichend” untersucht. Das ist streng genommen korrekt. Zwar sprechen lebenslange Tests mit Tieren und Langzeitstudien bei Menschen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gegen jegliches Gefährdungspotenzial, selbst bei Einnahme über 50 oder mehr Jahre. Unanfechtbare Beweise wären aber erst in einem halben Jahrhundert oder später möglich. 60 Jahre zu warten, das wäre vielleicht eine denkbare Strategie für einen heute Zehnjährigen. Was aber, wenn ein Erwachsener ein solches Mittel nutzen möchte, um bestimmte Alternsprozesse, sein Krebsrisiko oder auch nur seinen Schlaf zu verbessern? Bis sich alle Langzeitaspekte zu Melatonin lückenlos klären ließen, wäre diese Person lange tot. Wie man sieht, ist die Nutzen-Risiko-Relation bei Mitteln gegen das Altern nicht nur schwer einzustufen, sie kann auch je nach Einzelfall sehr unterschiedlich ausfallen. Und es kommt noch etwas Entscheidendes hinzu: Um absolut exakt zu bestimmen, wie effektiv ein einzelnes Mittel gegen das Altern beim Menschen ist, wären Langzeitstudien in extremen zeitlichen und finanziellen Dimensionen notwendig. Und selbst wenn man 50 Jahre Zeit hätte: Kein wissenschaftliches Institut und keine Firma der Welt könnte ein solches Projekt finanzieren – schon gar nicht bei natürlichen, nicht patentierbaren Substanzen wie Melatonin oder den vielen Antioxidantien. Zumindest darüber sind sich alle einig. „Die Nation ist fortgeschritten in der Erkenntnis. Die Bürokratie ist nicht einmal in der Theorie nachgekommen, geschweige in der Praxis.” FRIEDRICH LIST [deutscher Nationalökonom, 1789–1846]Alternsintervention in Deutschland
Bei jedem Mittel gegen das Altern, das in den vergangenen 20 Jahren in die Schlagzeilen gelangte, lief die Diskussion immer nach dem gleichen Schema ab: Mögliche Wirkungen gegen Alterungsprozesse und der gesundheitliche Nutzen wurden jeweils ausführlich beschrieben und nicht selten wurden große Hoffnungen geschürt. So weit die Theorie. Sobald es aber um die praktische Umsetzung und vor allem um die konkrete Verfügbarkeit für die Bürger ging, mündeten alle Empfehlungen in Aussagen wie: „Noch immer sind nicht alle Fragen geklärt.“ Und: „Von einer konkreten Anwendung ist abzuraten, bis ausreichende Forschungsergebnisse vorliegen.“ Kommt Ihnen das bekannt vor? Nun ist es ja durchaus redlich, ausreichende Erkenntnisse abwarten zu wollen. Der Begriff „ausreichend“ ist jedoch subjektiv und lässt Spielraum nach beiden Seiten. Allgegenwärtig sind die berechtigten Warnungen vor unseriösen vorschnellen Empfehlungen. Doch es gibt auch das andere Extrem, nämlich grundsätzlich jeden Wissensstand beim Thema aktive Prävention als „nicht ausreichend“ zu bezeichnen.Neue Herausforderungen verlangen nach neuen Antworten
Die besondere Situation beim Thema Alterung machte eines sehr bald deutlich: Anders als bei der Zulassung von Medikamenten gegen Krankheiten können Behörden auf dem Gebiet der persönlichen Prävention nicht die Rolle des Vormunds für jeden Einzelnen einnehmen. Aus diesem Grund wurde in den USA und anderen Ländern den Bürgern die Nutzung von Mitteln wie hoch dosierten Vitaminen, Melatonin, DHEA oder Antioxidantien in Eigenverantwortung ermöglicht; und das geschah nicht etwa, weil die Behörden dort weniger sicherheitsorientiert wären als bei uns. Der wichtigste Punkt: Die Beweislast wurde umgekehrt. Um jetzt erwachsenen Personen die Nutzung eines Wirkstoffs oder einer bestimmten Therapie für die persönliche Prävention zu verbieten, müssen Medizinbehörden ihrerseits eindeutige Belege für eine relevante gesundheitliche Gefährdung vorlegen. Der über Jahrzehnte alles blockierende Verweis auf angeblich nicht ausreichende Wirksamkeits- und Sicherheitsbeweise ist damit nicht mehr möglich beziehungsweise nun auf das reduziert, was er sein soll: ein Warnhinweis. Das hat die gesamte Situation grundlegend verändert. In Deutschland hingegen versucht man immer noch, das Thema Alterungsprophylaxe in die Paragrafen althergebrachter Verordnungen des Gesundheits- und Medikamentensystems zu pressen. Ein Zustand, der nicht nur die praktische Umsetzung präventiver Strategien erschwert, sondern bereits vom Ansatz her den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen dieses immer wichtiger werdenden Bereichs nicht gerecht wird. Bleibt abzuwarten, wie lange man in Deutschland auf diesem Gebiet den Entwicklungen in anderen Ländern hinterherhinkt. Letztlich wird allein der Druck aus der Bevölkerung die Lage verändern können. Dieses Buch soll deshalb dazu beitragen, nicht nur das Wissen, sondern auch die praktischen Möglichkeiten für aktive Alternsintervention zu verbessern. Die Zeit ist reif! „Ich brauche Informationen. Eine Meinung bilde ich mir selbst.” CHARLES DICKENS [englischer Novellist, 1812–1870]Ein Tummelplatz für Schwindler
Kaum ein Gebiet der Wissenschaft ist so von unterschiedlichen Interpretationen, gegensätzlichen Meinungen und persönlichen Auffassungen geprägt wie die experimentelle Gerontologie, die sich mit konkreten Maßnahmen zur Beeinflussung des Alterns beschäftigt. Das gilt ganz besonders für die praktische Alternsbeeinflussung beim Menschen. Bereits in seinem Bestseller von 1798 (Die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern) stöhnte der berühmte Arzt Wilhelm C. Hufeland genau über diese spezielle Problematik. Dabei war die Unterscheidung zwischen seriösen und unseriösen Empfehlungen zum Thema Lebensverlängerung bis in die Neuzeit vergleichsweise einfach. Aufgrund des geringen Wissens um die Ursachen der Alterung waren die meisten feilgebotenen Jungbrunnen eher Strohhalme der Hoffnung als Ergebnis wissenschaftlicher Forschung. „Dieses Problem war schon immer ein bevorzugtes für die klügsten Köpfe, ein Spielfeld für Tagträumer, und die größte Verlockung für Scharlatane und Schwindler.” WILHELM CHRISTOPH HUFELAND [deutscher Arzt und Begründer der Makrobiotik, 1762–1836]Für viele immer noch ein Tabuthema
Als sich im 20. Jahrhundert ernsthafte Wissenschaftler mit der Frage beschäftigten, wie eine Verjüngung beim Menschen praktisch möglich sein könnte, geschah etwas Merkwürdiges: Es änderte sich nämlich nichts an der Vorverurteilung der Praktiker. Nach wie vor genügte allein die Beschäftigung mit diesem Thema, um als unseriös zu gelten. Bis in die Gegenwart blieb der menschliche Alterungsprozess für Religiöse eine göttliche Bestimmung, für andere ein unumstößliches Naturgesetz und für wieder andere ein wissenschaftliches Mysterium, das sich kaum erschließen lässt. Und wenn, dann bestimmt nicht mit „einfachen“ Methoden. „Schritt 1: Tragen Sie die Wunder-Cellulite-Creme auf die Problemzonen auf. Schritt 2: Laufen Sie 15 Kilometer.“ „Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.” ALBERT EINSTEIN [deutscher Physiker und Nobelpreisträger, 1879–1955]Hohn und Spott für einige der wichtigsten Entdeckungen
Dies musste auch ein junger Wissenschaftler mit Namen Clive McCay erfahren, als er 1934 vortrug, der Alterungsprozess lasse sich in erheblichem Maße verzögern; und zwar allein durch Verringerung des Energieumsatzes mithilfe von Nahrungseinschränkung. Von den „seriösen“ Wissenschaftlern gab es Gelächter und bestenfalls mitleidige Minen. Die Vorverurteilung war so absolut, dass niemand sich dafür interessierte, ob die von McCay gewonnenen Daten korrekt erhoben worden waren oder nicht. Sie waren es. Dennoch hat es ein halbes Jahrhundert gedauert, bis McCays Ergebnisse allgemein anerkannt wurden. Heute gilt die sogenannte kalorische Restriktion als die sicherste und sogar effektivste Methode, um Alterungsprozesse drastisch zu verzögern und die Lebensspanne entscheidend zu verlängern (vgl. II.12). Anderen erging es noch schlimmer. Der Physiologe Eugen Steinbach unternahm noch vor McCay Studien zur Verjüngung. Er versuchte, unter anderem durch Drüsenverpflanzungen bei Tieren verjüngend wirkende Hormonveränderungen hervorzurufen, und erzielte damit beachtliche Erfolge. Als er seine Ergebnisse aber an jenem 5. Dezember des Jahres 1912 an der Wiener Akademie der Wissenschaften vortrug und von der Möglichkeit sprach, auch beim Menschen Alternsprozesse zu beeinflussen, sah er sich nur Anfeindungen gegenüber. Die Verunglimpfungen seitens seiner Kollegen wurden trotz oder gerade wegen des steigenden Interesses der Bevölkerung so erdrückend, dass Steinbach ins Exil ging und völlig resignierte. Heute, lange nach seinem Tod, gilt Eugen Steinbach als einer der Pioniere der Hormonbehandlung. Doch die Problematik hat sich auch beim Thema Hormone bis ins 21. Jahrhundert nicht grundlegend geändert. Während Hormonsubstitutionen aus medizinischen Gründen (zum Beispiel Insulin) oder auch wegen des Lifestyles (Antibabypille) mittlerweile Routine sind, werden Ärzte, die Hormone gezielt gegen degenerative Alterung einsetzen, pauschal kritisiert. Staatliche Forschungsgelder gibt es kaum. Dabei lassen sich reparative und präventive Wirkungen oft nicht trennen. Ein Beispiel ist die Hormonoptimierung bei Frauen nach der Menopause (siehe Kapitel II.5). „Wahrheiten werden, solange man sie nicht begreift, Dummheiten genannt.” DANIEL SPITZER [österreichischer Satiriker, 1835–1893]Vorsicht bei Übertragung von Tierstudien auf den Menschen
Nur ein Teil der Vorgänge beim menschlichen Alterungsprozess kann direkt am Menschen untersucht werden. Tierstudien sind deshalb in der experimentellen Gerontologie unverzichtbar und haben sich auch als äußerst reliabel erwiesen. Spätestens aber, wenn man die gewonnenen Erkenntnisse praktisch am Menschen anwenden will, wird die Frage nach der Übertragbarkeit neu aufgeworfen – zu Recht. Denn Tiermodelle können keineswegs immer eins zu eins auf den Menschen übertragen werden.Lebensverlängerung durch Gelée royale?
Ein Beispiel dafür, wie Tierstudien fehlinterpretiert und damit in Misskredit gebracht werden, ist Gelée royale, der Futtersaft, mit dem Bienenköniginnen aufgezogen werden: Bienen leben nur etwa drei Monate. Werden sie aber im Larvenstadium nicht mit Honig, sondern mit dem ebenfalls von den Bienen produzierten Gelée royale gefüttert, entwickeln sie sich zu Königinnen mit einer Lebensspanne von mehreren Jahren. Entsprechend wurden in der Laienpresse Hoffnungen genährt, beim Menschen wirke dieser Saft ebenfalls lebensverlängernd. Das ist nicht der Fall. Ursache für diesen Effekt bei Bienen ist eine genetische Besonderheit, die bei anderen Insekten nicht vorliegt – und beim Menschen erst recht nicht. Interessanterweise wird meist verschwiegen, dass die Königinnen durch die besondere Fütterung um ein Vielfaches schwerer werden als die anderen Bienen. Dieser Effekt soll natürlich möglichst nicht auf den Menschen übertragen werden. Unabhängig vom Aspekt Lebensverlängerung gibt es allerdings seriöse Hinweise auf gesundheitlich positive Effekte.Mäuse haben nie Alzheimer
Es wäre schön, wenn kurzlebige Tiere immer einfach ein verkleinertes Modell der menschlichen Alterung wären. Leider ist dem nicht so. So laufen Nagetiere nicht Gefahr, typische menschliche Alterskrankheiten des Gehirns wie Parkinson oder Alzheimer zu erleiden. (Inzwischen gibt es allerdings genetisch gezielt veränderte Mäusestämme, bei denen sich Alzheimer imitieren und untersuchen lässt.) Krebserkrankungen hingegen lassen sich bei Mäusen und Ratten sehr gut untersuchen, weil die Tumorbildung dort recht vergleichbar mit der beim Menschen abläuft. Auch Nierenleiden sind bei Mäusen eine häufige Todesursache. Bei Fliegen wiederum, einem anderen wichtigen Forschungsobjekt in der Alternsbiologie, teilen sich die Zellen des erwachsenen Tieres nicht mehr. Entsprechend können sich bei ihnen keine Tumoren bilden. Die Besonderheiten der verschiedenen Labortiere im Hinblick auf die Übertragbarkeit auf den Menschen sind heute ein eigener Forschungszweig. Jedes Tiermodell kann uns also nur ganz bestimmte Antworten für unsere eigene Alterung geben. Wird das allerdings berücksichtigt, lassen sich diese einzelnen Mosaiksteine dann zu einem sehr genauen Gesamtbild zusammensetzen.Länger leben heißt nicht automatisch: besser leben
Ein Punkt, der gelegentlich auch von Wissenschaftlern wenig beachtet wird, sind qualitative Aspekte. Ein Beispiel: Angenommen, es wird ein neues Mittel gegen das Altern getestet. Und tatsächlich verlängert es die durchschnittliche Lebensdauer von Versuchstieren um 30 Prozent. In der Regel geht jetzt jeder stillschweigend davon aus, dass die gewonnene Lebenszeit auch qualitativ eine gute ist. In den meisten Fällen ist das auch so. Um allerdings sicher gehen zu können, müssen in den Studienberichten Angaben zum Zustand der Tiere und zur endgültigen Todesursache enthalten sein. Viele Untersucher beschränken sich aber ausschließlich auf Zahlen und sparen mit qualitativen Beschreibungen. Der Grund ist nicht immer Nachlässigkeit. Als Forscher läuft man leider schnell Gefahr, unseriös zu wirken, wenn man etwa betont, dass die untersuchten Tiere trotz ihres Alters ein „glänzendes Fell“ hätten oder „auffallend munter“ seien. Wir jedenfalls haben versucht, für den nachfolgenden Praxisteil diese und andere kritische Aspekte bei der Beurteilung der vielfältigen Zahlen und Daten zu berücksichtigen. * Mit den wesentlichen Grundlagen, die wir bis hierher kennengelernt haben, mit der Kenntnis der Fallstricke, vor allem aber mit dem Wissen um die Beeinflussbarkeit der menschlichen Alterung ausgerüstet, können wir uns nun dem wichtigsten Teil des Buches widmen, der gezielten Beeinflussung unserer Alterung. II. Altersuhren und ihre BeeinflussungII. 1 Altersuhr Gene
„Die sicherste Methode, ein hohes Lebensalter zu erreichen, ist die geschickte Auswahl der Eltern.” CHRISTOPH WILHELM HUFELAND [deutscher Arzt und Begründer der Makrobiotik, 1762–1836] Variable Schrittmacher An der Genetik scheiden sich die Geister. Die einen lehnen genetische Forschung als Eingriff in eine höhere Ordnung ab, andere sehen in diesem Gebiet einen Schlüssel, mit dem sich Krankheiten und auch das Altern besiegen lassen. Schon gibt es Stimmen, die angesichts der Fortschritte in der Grundlagenforschung zur Zellalterung bald eine Lebensspanne von 200 bis 300 Jahren beim Menschen für erreichbar halten. Starke Worte. Weil dabei große Hoffnungen geweckt werden, möchten wir diesen Forschungsbereich nicht auslassen; auch wenn die Genetik kein Gebiet zu sein scheint, bei dem wir selbst aktiv werden können. Oder doch?Menschliche Zellen erneuern sich nicht unbegrenzt
Bis vor 50 Jahren herrschte die Lehrmeinung, dass sich Zellen immer wieder teilen und damit erneuern und verjüngen können. Altern und Zelltod galten als eine Folge äußerer Einflüsse. Entsprechend groß war der Schock, als in den 60er-Jahren ein damals unbekannter Forscher mit Namen Leonard Hayflick aufgrund von Tests behauptete, menschliche Zellen könnten sich nicht unendlich oft teilen, sondern nur in genau begrenzter Häufigkeit. Das Altern wäre somit nicht von äußeren Einflüssen oder einer übergeordneten Macht verursacht, sondern hätte seine festgelegten Ursachen im Erbmaterial der Zellen. Gibt es vielleicht sogar eine zentrale Altersuhr in unseren Genen, die das Leben irgendwann abschaltet? Wir wären jedenfalls nicht die einzigen Lebewesen, die so eine Steuerung besäßen.Genetische Todesprogramme
Bei vielen Pflanzen und Tieren werden Altern und Tod sehr exakt von genetischen Programmen gesteuert – manchmal auf wirklich eindrucksvolle Art und Weise: Pazifische Lachse etwa sterben kurz nach ihrer ersten und einzigen Eiablage und nachdem riesige Mengen ausgeschütteter Stresshormone eine rasend schnelle Alterung bewirkt haben. Innerhalb weniger Tage entstehen bei den Fischen atherosklerotische Veränderungen und ein altersschwaches Immunsystem. Tintenfischweibchen sind gesund und leistungsfähig, bis sie ihre Brutpflege für die Eier geleistet haben. Unmittelbar nach dem Schlüpfen ihrer Jungen beginnen sie plötzlich im Zeitraffer zu altern und sterben.Auch Programme lassen sich überlisten
Wie man sieht, können Altern und Tod tatsächlich exakt genetisch gesteuert sein. Die Beispiele aus dem Tier- und Pflanzenreich zeigen gleichzeitig aber auch etwas anderes: Selbst scheinbar streng festgelegte genetische Alterungsprogramme sind variabel, ändern sich und können gezielt unterlaufen werden. Agaven sterben normalerweise sofort nach dem Blühen ab. Wird der Blühvorgang aber verhindert, lassen sich die Pflanzen praktisch unbegrenzt am Leben halten. Bei unserem gerade erwähnten Tintenfisch genügt es, den erwachsenen Tieren ihre speziellen optischen Drüsen zu entfernen. Dadurch wird das Brutverhalten unterbrochen und die Tintenfische leben etwa dreimal länger als genetisch ursprünglich „vorgesehen“. In den Genen kodierte Alternsprogramme sind also durchaus keine starren Abläufe, sie werden vielmehr von äußeren Faktoren mitbestimmt. Es ist deshalb möglich, in genetische Abläufe auf indirekte Weise einzugreifen – auch bei uns Menschen. Wie wir später noch sehen werden, ist das gar nicht so kompliziert, wie es das Thema Genetik vermuten lässt.Suche nach den Todesgenen
Anstatt Alternsprogramme über Umwege zu unterlaufen, kann man den genetischen Code natürlich auch direkt verändern. Vorausgesetzt, man weiß wo. Bei einem Fadenwurm ist das inzwischen gelungen. Wissenschaftlich heißt das Tier Caenorhabditis elegans. Dieser sehr kleine Wurm ist mittlerweile so gut untersucht, dass alle Gene identifiziert wurden, die für seine Alterung verantwortlich sind. Wissenschaftler konnten das Erbmaterial des Tieres bereits gezielt verändern. Resultate des Eingriffs waren eine verlangsamte Alterung und eine dreimal längere Lebensspanne. Unter anderem produzieren entsprechend genetisch veränderte Tiere größere Mengen von Antioxidantien. Sie sind also besser gegen schädliche Radikale geschützt. (Anmerkung: Radikale sind auch beim Menschen für das Altern mitverantwortlich. Im nächsten Kapitel werden wir uns ausführlich mit ihnen beschäftigen.) Auf den Menschen übertragen würde das Beispiel des Fadenwurms eine mittlere Lebensdauer von 250 Jahren ergeben. Steckt auch bei uns ein Jungbrunnen in den Genen, wenn wir nur genau nachsehen? Wäre die Antwort ja, könnte sich die Suche allerdings hinziehen. Beim kleinen C. elegans hat die Entschlüsselung sämtlicher Codes viele Jahre gedauert. Dabei besteht sein gesamter Organismus aus gerade einmal 959 Zellen. Etwa ein Drittel davon sind Zellen des Nervensystems. Der Mensch dagegen besitzt schon allein im Nervensystem 1012 Zellen (das ist eine Zahl mit zwölf Nullen). An eine nicht nur theoretische Entschlüsselung der Gensequenzen, die gerade erst gelungen ist, sondern vor allem an eine praktische Nutzung ist dort in den nächsten Jahrzehnten nicht zu denken. Im Übrigen gibt es bisher überhaupt keine Vorstellung davon, wie eine konkrete Anwendung für den Einzelnen überhaupt umsetzbar wäre. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es für uns überhaupt aussichtsreich ist, auf das Auffinden eines Todesgens zu hoffen. Bei fast allen höheren Lebewesen und mit großer Wahrscheinlichkeit auch beim Menschen existieren nämlich keinerlei Anzeichen für die Existenz wirklicher Alterungsgene, die sich quasi bei einem bestimmten Alter oder Lebensereignis einschalten oder deren Aufgabe es gar ist, Altern und Tod zu verursachen. Im ersten Teil des Buches haben wir gesehen, dass sich die Alterung beim Menschen aus vielen verschiedenen Gründen eingeschlichen hat und sehr unterschiedliche Gene daran beteiligt sind; auch pleiotrope Gene, die gleichzeitig wichtige positive Aufgaben haben. (Vgl. Abschnitt „Warum die Natur sich Altern leisten kann“) Bleibt die Frage, inwieweit der Teilungsstopp unserer Zellen als eine Art Todes- oder Alterungsbefehl wirkt. Sehen wir uns die Sache etwas genauer an.Telomere
Damit aus einer Zelle zwei neue voll funktionstüchtige Tochterzellen entstehen können, muss der im Zellkern gespeicherte Bauplan exakt kopiert werden. Schon in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts fand man heraus, dass dabei an den Informationssträngen angelagerte Endkappen eine entscheidende Rolle spielen. Der spätere Nobelpreisträger James D. Watson konnte 1972 zeigen, warum diese Endkappen, die Telomere getauft wurden, so wichtig sind. Der Kopiervorgang kann die äußersten Enden der DNA-Stränge aus technischen Gründen nicht optimal erfassen. Ein unvollständiges Ablesen aber hätte fatale Folgen für weitere Zellgenerationen. Die quasi überstehenden Endkappen (Telomere) sorgen dafür, dass die komplette DNA gelesen werden kann, allerdings dann auf Kosten der äußeren Enden dieser Telomere. Das heißt, mit jeder Zellteilung werden die Telomere kürzer. Erreicht die Telomerlänge einen kritischen Wert, muss die Zelle weitere Teilungen einstellen, wenn sie Ablesefehler vermeiden will. Das Ende ihrer Teilungsfähigkeit ist erreicht.Telomerase – Enzym der Unsterblichkeit
Die Endstücke der Chromosomen (Informationsstränge) geben also bei jeder Zellteilung ein Stück von sich ab und ermöglichen so ein komplettes Ablesen der genetischen Information, bis sie sozusagen aufgebraucht sind. Eine gefahrlose weitere Teilung ist dann für die Zelle nicht mehr möglich. „Stopp!“, werden Sie nun vielleicht sagen, „es gibt aber doch Einzeller wie beispielsweise Bakterien, die sich unentwegt durch Teilung fortpflanzen. Wie können diese Zellen sich wieder und wieder teilen, ohne dass die Endstücke ihrer Chromosomen irgendwann zu kurz werden?“ – Ein wirklich guter Einwand. Über Jahrzehnte vermochte ihn niemand zu beantworten. Exakt diese Frage trieb auch Elizabeth Blackburn um, eine Biologieprofessorin der Universität von Kalifornien. Um dem Rätsel auf die Spur zu kommen, baute sie (kurz vor Weihnachten 1984) zusammen mit der erst 23 Jahre alten Studentin Carol Greider eine Art künstliche Telomere und tauchte sie in einen Extrakt aus zermahlenen Einzellern. Die junge Studentin konnte das Ergebnis kaum erwarten und so schlich sie sich noch am Weihnachtsabend ins Labor. Als sie die Zellbausteine herausnahm, hörte die Welt für einen Augenblick auf, sich zu drehen. Die Telomere waren wie von Geisterhand verlängert. Des Rätsels Lösung lag in einem besonderen Enzym, das Einzeller in großer Menge besitzen. Es hat die Fähigkeit, die sich bei jeder Zellteilung verkürzenden Telomere wieder zu verlängern. Nur so wird das quasi ewige Leben der Einzeller ermöglicht. Die beiden Forscherinnen tauften das erstaunliche Enzym entsprechend seinen Fähigkeiten auf den Namen Telomerase. Ein Enzym, das Zellen unendlich am Leben halten kann. Ein Baustein der Unsterblichkeit. Was für ein Fund! Wie immer dauerte es, bis die Tragweite erkannt wurde. Doch 2009 wurde Blackburn und Greider sowie dem Biologen Jack Szostak für diesen Durchbruch der Nobelpreis für Physiologie und Medizin verliehen.Telomerase beim Menschen
Beneidenswerte Bakterien. Warum besitzt der Mensch das Enzym nicht? Tut er. Auch beim Menschen gibt es unsterbliche Zellen: Krebszellen. Zunächst wurde gemutmaßt, das Fehlen von Telomerase in den normalen Körperzellen sei ein evolutionärer Krebsschutz, doch das ist nicht der Grund. Tumorzellen entstehen nicht aus den fertig entwickelten Körperzellen, sondern in erster Linie aus ihren Vorläufern, den Stammzellen. Und diese verfügen über Telomerase (übrigens ähnlich wie die Zellen der Keimbahn, die unseren ganz individuellen Bauplan enthalten und die wir bei der Fortpflanzung weitergeben. Das ist tatsächlich eine konkrete Form der Unsterblichkeit). [Anmerkung: Heute kennen wir den Grund für die Zurückhaltung des Körpers, alle Zellen mit einem perfekten Reparaturmechanismus auszustatten. Es ist derselbe Grund, der den „behinderten“ Bakterien (wie im ersten Kapitel erwähnt) unter bestimmten Bedingungen einen Vorteil verschafft hat. Erinnern Sie sich? Es ging darum, dass alle Körperprozesse auch einen energetischen Aufwand bedeuten und so verhält es sich auch mit der Verlängerung der Telomere. Mit dem Vorhandensein des Enzyms ist es ja nicht getan. Der Prozess der stetigen Verlängerung bindet Ressourcen. Und so ist die Evolution auch hier einen Kompromiss eingegangen, einen Kompromiss zwischen dem Bestreben, den Körper jung zu erhalten, und dem Aufwand, der dafür erbracht werden muss. Die Natur könnte uns also auch über diesen Mechanismus (noch) langsamer altern lassen. Doch das wäre sehr aufwendig. Wenn wir als Individuum mehr wollen, müssen wir uns mit eigenem Aufwand selbst darum kümmern.] Doch es sollte noch besser kommen. Weiterentwickelte Messmethoden fanden das Enzym nämlich auch in den übrigen Körperzellen, nur in weitaus geringerer Konzentration. Dennoch verrichtet es dort dieselbe Aufgabe – bloß mit entsprechend geringerem Erfolg. Und wie die weitere Forschung ergab, bleiben unsere Zellen so lange am Leben, bis der eher schwache Reparaturmechanismus den „Abnutzungsvorgängen“ nicht mehr trotzen kann. Je mehr Zellen in einem Organ irgendwann zu viele kurze Telomere haben, desto schneller altern das Organ und schließlich der ganze Organismus. Je mehr verkürzte Telomere, desto höher ist auch das Risiko für Funktionsstörungen. Und die äußern sich dann in dem, was wir als Alterskrankheiten bezeichnen. Der Zusammenhang zwischen Krankheit und Telomerlänge wurde inzwischen für Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Lungenfibrose, psychische Störungen und andere Alterserscheinungen bis hin zur Gesamtsterblichkeit bestätigt. Welche Organe übrigens wie schnell altern, das hängt von der individuellen Genetik sowie von externen Faktoren ab. Und inzwischen kennen wir viele der Ursachen, die die Arbeit der wenigen Telomerase zur Sisyphusarbeit werden lassen und damit Zelltod und Störungen beschleunigen: Radikale, Fettleibigkeit, Rauchen (wobei Teer und Gase den Negativeffekt bewirken, nicht das Nikotin), nährstoffarme Ernährung, Bewegungsmangel, Stress, Vitamin-D-Mangel und noch so einiges mehr. Doch wir brauchen uns nicht nur auf Vermeidung und Verzicht zu konzentrieren. Seitdem Telomere sehr genau vermessen werden können, hat die Forschung auch Faktoren identifiziert, mit Hilfe derer sich die Arbeit der Telomerase effektiv unterstützen lässt.Unterstützung für Telomere
Für die folgenden Wirkstoffe wurde eine Schutzwirkung auf die Telomerlänge und damit auf die Funktionsfähigkeit und die Lebensdauer der Zellen nachgewiesen (im Tierversuch oder beim Menschen). Die Mengenangaben beziehen sich auf die Dosierung, die diesen Effekt garantiert. Teilweise sind es Dosierungen, die sich über die Ernährung erreichen lassen, teilweise ist dazu eine gezielte Nahrungsergänzung notwendig.● | Vitamin D | (2000–4000 IE; Ziel sollte ein Blutspiegel von 1000 nmol bzw. 40 µg/l sein) |
● | Omega-3-Fettsäuren | (z. B. 1000 mg Fischöl) |
● | Omega-6/ Omega-3-Verhältnis | (– es sollte höchstens 4 zu 1 betragen; kritisch ist deshalb der heutzutage hohe Konsum von Omega-6-Fettsäuren, wie in Margarine, Distelöl, Maiskeimöl, Sonnenblumenöl) |
● | Kurkuma | (4–10 g oder 500 µg Extrakt) |
● | Grüntee | (500 µg Extrakt) |
● | Quercetin | (500 mg) |
● | Vitamin E | (100 IE und mehr; allerdings sollte sowohl Alpha-Tocopherol als auch Gamma-Tocopherol enthalten sein) |
● | Tocotrienole | (100 mg) |
● | Ginkgo | (125 mg Extrakt) |
● | TA-65 | (Wirkstoff aus Astragalus; sehr effektiv, aber Dosisangabe schwierig, da Standardisierung noch uneinheitlich) |
● | IGF-1 bzw. das Wachstumshormon |
● | Estradiol (allerdings nur das körperidentische 17-beta-Estradiol) |
Der Stopp der Zellteilung ist nur ein Alternsfaktor
Die aufregenden Entdeckungen im Bereich der Zellteilung sollten uns nicht dazu verleiten, unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf diesen Aspekt zu begrenzen. Ohne Zweifel spielt die Teilungsfähigkeit unserer Körperzellen für die Alterung eine zentrale Rolle. Den Schlüssel zur Gesunderhaltung aber nur dort zu suchen, wäre zu einfach. Wenn wir sterben, haben nämlich viele Körperzellen ihre Teilungsfähigkeit noch gar nicht verloren. Auf der anderen Seite können sich Zellen mancher Organe schon früh im Leben nicht mehr teilen und bleiben dennoch lange voll funktionsfähig. Wenn wir Abitur machen, haben unsere Gehirnzellen ihre letzte Teilung schon 20 Jahre hinter sich und funktionieren dennoch tadellos (auch wenn man bei manchen Zeitgenossen gelegentlich seine Zweifel hat). Die Zellen des Herzmuskels verlieren ebenso früh ihre Teilungsfähigkeit und verrichten dennoch, zumindest bei gesunder Lebensweise, selbst nach Jahrzehnten ununterbrochen ihre Arbeit. „Jeden Tag ersetzt mein Körper Millionen von Hautzellen. Wie kommt es, dass die neuen genauso faltig sind wie die alten?“ Ein aufwendiger Vergleich von 2000 Krankheiten, die jeweils Phänomene vorzeitiger oder beschleunigter Alterung bei den Betroffenen auslösen, ergab, dass eine große Zahl verschiedenster Gene (etwa 7 Prozent) an Seneszenzerscheinungen beziehungsweise am Alterungsprozess beteiligt sind. Unsere Alterung wird also nicht von einer einzelnen genetischen Steuerung bestimmt. Davon können wir ausgehen. Es existiert eine ganze Reihe von Schalthebeln. Und wie sich immer deutlicher herausstellt, lassen sich viele genetische Hebel auch ohne komplizierte gentechnische Verfahren umlegen – auch in Richtung einer Verlangsamung der Alterung.Gleiche Genetik – unterschiedliche Alterung
Um Alterungsprozesse entscheidend zu verlangsamen, sind grundlegende Veränderungen des genetischen Codes gar nicht notwendig. Der Mensch ist das beste Beispiel dafür. Im Verhältnis zu unseren genetisch bestimmten Biodaten wie Energieumsatz und Körpermasse altern wir sehr langsam. Schimpansen etwa haben zu 98 Prozent die absolut gleichen Gene wie der Mensch. Sie müssten von der genetischen Steuerung her denselben Alternsmechanismen unterliegen wie wir. Soweit wir wissen, ist das auch der Fall. Dennoch aber leben sie kaum halb so lange wie ein Mensch. Schimpansen altern im Grunde normal. Es ist der Mensch, der relativ zu seiner genetischen Ausstattung langsam altert. Das war nicht immer so. Wir hatten schon darauf hingewiesen, dass sich die Geschwindigkeit, mit der ein Mensch altert, seit wenigstens 2000 Jahren nicht verändert hat – im Gegensatz zur extrem gestiegenen durchschnittlichen Lebenserwartung. In noch größeren Zeiträumen betrachtet, sieht das aber anders aus. Die Vorfahren des Homo sapiens lebten nicht nur durchschnittlich kürzer, auch ihre theoretische maximale Lebensspanne war geringer. Das heißt, sie waren schlechter gegen schädliche Alterungsprozesse geschützt und mussten deshalb schneller altern – trotz ihrer absolut engen genetischen Verwandtschaft mit uns. Ganz konkret in Zahlen heißt das: Der Mensch alterte im Laufe der Evolution alle 100 000 Jahre um 14 Jahre verzögert. Wie wir unser eigenes Alternsprogramm verändern können Wodurch konnte sich der Mensch im Verlauf seiner Entwicklungsgeschichte immer besser gegen Alterung schützen? Es ist unwahrscheinlich, dass diese unter Evolutionsgesichtspunkten „schnelle“ Entwicklung durch grundlegende Veränderungen der Gensequenz zustande kam. Wir haben heute also nicht etwa weniger oder andere „Todesgene“ als der Urmensch. Wahrscheinlicher sind sogenannte genregulatorische Prozesse, die für diese Wandlung verantwortlich sind. Was heißt das? Gene, die in ihrer Ausprägung Altern verursachen oder besser gesagt, welche die Anfälligkeit für Alternsprozesse erhöhen, funktionieren nicht isoliert. Was von einem Gen letztlich ausgeprägt wird, hängt auch von Faktoren innerhalb und außerhalb des Körpers ab, wie beispielsweise Umwelteinflüsse, Nahrung, Verhalten und so weiter. Das Ausmaß, wie genetische Programme beeinflusst werden, erhöht sich im Laufe des Lebens sogar immer mehr. Selbst die Zellteilung bleibt von äußeren Faktoren nicht unbeeinflusst. Obwohl es sich hier um eine eigentlich streng festgelegte Steuerung handelt, können sich Zellen zum Beispiel länger teilen, wenn sie reduziertem Sauerstoffdruck ausgesetzt sind. Viele andere Alternsprozesse innerhalb der Zellen werden dadurch verzögert. (Anmerkung: Ganz allgemein schützt ein Mehr an Sauerstoff keineswegs vor dem Altern. Im Gegenteil: Erst ein guter Schutz vor Sauerstoff verhindert das Altern – also ganz entgegen der verbreiteten Vorstellung. Wir werden auf die problematische Rolle von Sauerstoff noch öfter zurückkommen.) Nun ist es zweifellos recht unkomfortabel, zur Verzögerung des Alterns sein Leben in einer Unterdruckkammer zu verbringen. Im Übrigen wäre das auch nicht sehr effektiv. Denn die Zahl der Zellteilungen ist eben nicht der einzige Alternsfaktor. Es gibt andere Möglichkeiten, Alternsprozesse und sogar genetische Alternsprogramme zu beeinflussen.Kalorische Restriktion
Eine gezielte Nahrungseinschränkung (= kalorische Restriktion) gehört zu den am stärksten wirksamen Interventionen, die das Altern bremsen können. Die verschiedenen unmittelbaren Effekte auf Alternsprozesse werden wir in einem eigenen Kapitel kennenlernen (s. Kap. II.12). Die aktuelle Forschung in diesem Bereich hat inzwischen gezeigt, dass kalorische Restriktion auch direkt genetische Programmabläufe verändert. An der University of California dokumentierten Wissenschaftler jüngst, wie schnell das geschieht. Bereits wenige Wochen gezielter Nahrungsbeschränkung genügten, um die genetische Ausprägung eines älteren Organismus in die eines Jüngeren zu verändern. Das bedeutet dann, das genetische Alternsprogramm läuft auch im Alter mit der Programmierung ab, wie sie für die erste Lebenshälfte vorgesehen ist.Hormone
Eine andere entscheidende Verbindung besteht zwischen Altern und Hormonen. Hormone sind Botenstoffe. Unter anderem transportieren sie auch die von Genen ausgehenden Alternssignale. Umgekehrt wird aber auch die Ausprägung einer Reihe von Genen von Hormonen beeinflusst. Gezielte Interventionen auf Hormonebene, wie sie heute bereits möglich sind, beeinflussen deshalb Alternsprozesse sowohl direkt als auch über ihre Rückwirkung auf Genprogramme.Bionährstoffe
Beim Begriff „Genveränderung“ denken die Meisten sofort an Hightech-Labore. Dabei ist das Phänomen ein natürlicher Bestandteil biologischen Lebens. Zunächst einmal ist die Wahrscheinlichkeit groß, von Geburt an eine genetische Veränderung aufzuweisen. Gott sei Dank sind die Folgen der meisten „Abweichungen“ nicht dramatisch, und viele der gesundheitlich problematischeren Varianten lassen sich sogar mit relativ einfachen Mitteln korrigieren. So sind bisher allein 50 genetisch bedingte Krankheiten bekannt, die bereits durch eine erhöhte Zufuhr von Mikronährstoffen oder körpereigenen Biosubstanzen erfolgreich behandelt werden können. Hintergrund für die therapeutische Wirksamkeit hoch dosierter Nährstofftherapien ist ein relativ neu entdecktes biologisches Phänomen: Mehr als jede dritte krank machende Genmutation reduziert die Affinität lebenswichtiger Enzyme zu ihrem Coenzym beziehungsweise Substrat. Was hier etwas kompliziert klingt, ist eine Entdeckung, die auch erhebliche Bedeutung für den Kampf gegen den Altersabbau hat – wie wir gleich sehen werden. Die Hauptaufgabe von Vitaminen und vom Körper selbst gebildeten Biosubstanzen ist keineswegs die Vermeidung der wenigen klassischen Mangelkrankheiten. Dieses nun wirklich völlig veraltete Dogma sollten wir schnell vergessen. Vitalstoffe fungieren vielmehr als Katalysatoren unzähliger Stoffwechselreaktionen, wie unter anderem bei den enzymatisch gesteuerten Prozessen innerhalb jeder einzelnen Körperzelle. Genveränderungen führen sehr häufig zu einer Art Unempfindlichkeit lebenswichtiger Enzyme gegenüber ihren Mitarbeitern (den vitaminhaltigen Coenzymen) oder den zu verarbeitenden Werkstoffen (vitalstoffhaltige Substrate). Eine gezielte Zufuhr erhöht die unmittelbare Verfügbarkeit dieser Helfer und Substrate, wodurch die „träge“ gewordene Enzymfunktion verbessert oder sogar wiederhergestellt werden kann. So viel zu den angeborenen genetischen Veränderungen, von denen viele, jedoch nicht alle Menschen betroffen sind. Doch gleich wird es für jeden von uns interessant: Neue Ergebnisse aus der Erforschung des zellulären Energiestoffwechsels haben einen weitreichenden Zusammenhang aufgezeigt. Veränderungen genetischer Programme mit den gerade genannten Auswirkungen auf wichtige Enzymfunktionen entstehen auch als typische Folge des Alterns. Bei jedem Menschen! Und, weil sich diese Störungen im Verlauf des Lebens immer mehr verstärken, entwickeln sie sich zu einer eigenständigen Ursache für das Altern selbst. Vielleicht ahnen sie schon, worauf wir hinaus wollen: Wenn enzymatische Störungen aufgrund angeborener Genveränderungen mit gezielt zugeführten Vitalstoffen kompensiert werden, könnte derselbe Effekt auch bei altersbedingten Störungen der genetischen Steuerung möglich sein, soweit sie vergleichbare Enzymfunktionen betreffen. Und genau das hat sich in den vergangenen Jahren bestätigt. Eine vermehrte Bereitstellung unterstützender Vitalstoffe kann Zellfunktionsstörungen, die aufgrund alternsbedingter Genfehler eingetreten sind, besonders Veränderungen der Mitochondrien-DNA, ausgleichen und weitere Einbußen verhindern. Wesentliche Alterungsprozesse, die für das Überleben der nicht teilbaren Zellen von Muskeln, Gehirn, des Herzens, aber auch der Zellen der Haut und anderer Organe in hohem Maße bestimmend sind, lassen sich auf diese Weise tatsächlich verhindern. Eine Reihe dieser biologischen Substanzen sind Bestandteil zentraler Coenzyme und Substrate innerhalb der Zellen. Wie wir heute wissen, kann eine gezielte Substitution typische Altersstörungen der Enzymfunktionen beheben und darüber hinaus das Fortschreiten von Genveränderungen, Zelltod und Altern signifikant verzögern. Zu den in diesem Zusammenhang wissenschaftlich untersuchten biologischen Stoffen mit einer dokumentierten Wirksamkeit gehören:● |
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Beispiele für Seneszenzerscheinungen und Krankheiten, …
… die von alternsbedingten Genveränderungen mit nachfolgenden Enzymstörungen verursacht werden:– |
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Resveratrol
In epidemiologischen Studien (= Vergleiche zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen) taucht seit Jahrzehnten immer wieder ein ebenso merkwürdiger wie heiß diskutierter Befund auf: Rotweintrinker scheinen älter zu werden und im Alter gesünder zu sein als Menschen mit anderen Trinkgewohnheiten oder Nichtalkoholiker. Nun ist es mit Vergleichen zu Trink- und Essgewohnheiten so eine Sache. Entsprechende Studien bergen immer das Risiko nicht beachteter Fehlerquellen, worauf auch eiligst alle die hinwiesen, die über die Ergebnisse weniger erfreut waren: Abstinenzler, Regierungen skandinavischer Länder mit ihrer rigiden Drogenpolitik und nicht zuletzt die Bierlobby. Doch die Diskussion ist entschieden. Zunächst konnte schon vor einigen Jahren die Substanz identifiziert werden, der die beobachteten Effekte zugeordnet werden können: Es ist das in den Schalen roter Trauben enthaltene Resveratrol, ein sogenanntes Stilben, das zur Gruppe der pflanzlichen Polyphenole gehört. (Anmerkung: Resveratrol ist unter anderem auch in Blaubeeren, bestimmten Pinienarten und der asiatischen Heilpflanze Polygonum cuspidatum enthalten; andere gesundheitlich wirksamen Polyphenole finden sich zum Beispiel in grünem Tee, Olivenöl, Orangenschalen oder im Kakao.) Im nächsten Schritt versuchten Wissenschaftler, den genauen Mechanismus aufzuklären, der für die offensichtlichen Gesundheitswirkungen verantwortlich ist. Und dabei gab es gleich zwei Überraschungen. Resveratrol zeigte nicht nur gesundheitliche Wirkungen, sondern scheint tatsächlich den Ablauf der Alterung beeinflussen zu können. Und: Resveratrol greift über einen chemischen Schlüssel auf Zellebene direkt in die Steuerung eines Alterungsgens ein. Welche Brisanz in dem letzten Befund steckt, können Sie aus dem Umstand ersehen, dass die an dieser Forschung beteiligten Wissenschaftler nach ihrer Entdeckung ein eigenes Biotech-Unternehmen gründeten, um sich ganz diesem Forschungsbereich und nicht zuletzt der praktischen Nutzung und Vermarktung entsprechender Produkte widmen zu können. Doch zur Vermarktung kam es erst gar nicht. Der Pharmakonzern Glaxo kaufte 2008 kurzerhand das ganze Unternehmen samt seiner Forscher und vor allem sämtlicher Rechte. Und während unsere Gesundheitsbehörden nicht müde wurden, uns Verbrauchern das ewige Lied von der Wirkungslosigkeit von Resveratrol und anderen Nahrungsergänzungen zu singen, waren Glaxo die Rechte rund um einen schlichten Traubenextrakt einiges wert. Sie legten eine dreiviertel Milliarde Dollar auf den Tisch. Böse Zungen mutmaßten, die Pharmaindustrie wolle eigentlich nur verhindern, dass ihre Kunden durch die freie Verfügbarkeit einer Resveratrol-Pille zu gesund und damit zum Gewinnrisiko würden. Nun, in jedem Fall arbeitet der Konzern an abgewandelten und damit patentierbaren synthetischen Resveratrol-Analogen unter anderem für eine Zulassung als Diabetesmedikament. Hat Glaxo damit Erfolg, wartet ein immer schneller wachsendes Heer von Diabetikern. Die Rechnung dürfte also so oder so aufgehen. (In dem seit den 80er-Jahren drastisch zugunsten der Industrie veränderten Medizinsystem geht die Rechnung für die Pharmaindustrie immer auf. Aber wir schweifen ab.) Resveratrol wirkt als Aktivator für sogenannte Sirtuine, einer Proteinfamilie mit verschiedenen Aufgaben rund um die genetische Zellsteuerung. Eine entscheidende Auswirkung einer solchen Aktivierung ist eine Verlangsamung der Zellalterung auf genetischer Ebene. Den ersten Praxisstudien mit Hefepilzen (30 Prozent Lebensverlängerung) folgten Untersuchungen bei immer komplexeren Organismen: Würmern, Insekten und Fischen – überall mit ähnlichem Resultat (50 bis 59 Prozent Lebensverlängerung). Studien mit Mäusen laufen bereits und könnten schon sehr bald weitere Bestätigungen liefern. Interessant ist übrigens, dass der genetische Mechanismus einer Sirtuin-Aktivierung auch bei Nahrungseinschränkung zur Verlangsamung der Alterung beiträgt (s. Kap. II.12). Vermutungen, dass das sogar die alleinige Ursache für den Alternsbeeinflussung bei kalorischer Restriktion sei, konnten allerdings jüngst widerlegt werden.Praxis und Dosierungen
Spätestens seit verschiedenen 2006 veröffentlichten Untersuchungen zweifelt kaum jemand der mit dem Thema beschäftigten Wissenschaftler ernsthaft daran, dass mit Resveratrol eine Substanz gefunden wurde, die auch beim Menschen die biologische Altersuhr zumindest verlangsamen kann. Noch immer unklar ist aber, welche Dosierung dazu notwendig ist. Die bisherigen Tierstudien lassen in dieser Hinsicht keine seriösen Ableitungen zu.● |
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Auf genetischer Ebene wirkende Alternsinterventionen
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